Vom Atlantik in den Antiatlas

Allmählich wird es Zeit, dass wir uns der Wüste zuwenden. Die Atlantikküste haben wir inzwischen hinter uns gelassen. Unser südlichster Punkt war Sidi Ifni, die ehemalige Stadt der Spanier mit dem Charme längst vergangener Zeiten. Unseren ursprünglichen Plan, bis zu den kilometerlangen Dünenstränden des „Plage Blanche“ zu fahren, haben wir fallen gelassen. Das Wetter an der Küste war uns einfach zu ungewiss. Und was nützt es uns, im Nebel auf die Dünen zu gucken. Da kann der Strand noch so schön sein.

 

Also ging es von Sidi Ifni ins Landesinnere. Kaum dass wir die Küstenregion hinter uns gelassen haben, finden wir auch schon ein Stück ursprüngliches Marokko und unser Daumen-Barometer zuckt nach oben. In einer kleinen Stadt ist Markttag und es herrscht das übliche Gewimmel auf der Durchgangsstraße. Niemanden stört es, dass wir mit unserem Dickschiff ankommen. In aller Seelenruhe wird ein Eselskarren zur Seite geschoben, ein Auto umgeparkt, Fußgänger queren und wir fühlen uns in ein anders Jahrhundert zurückversetzt. Zudem sind hier nur Berber in ihrer traditionellen Gewandung unterwegs. Mit Djeballah und Turban. Da es in diesem Ort auch eine Frauenkooperative für Arganöl gibt, wollen wir einen Halt einlegen. Dazu parken wir den Mumin ein wenig außerhalb des Marktes gegenüber der Polizeistation. Wir bleiben völlig unbehelligt, niemand will Parkgeld, niemand will uns was verkaufen oder etwas erbetteln. Na bitte – es geht doch.

 

In der Kooperative bekommen wir gezeigt, wie mühsam das Arganöl gewonnen wird. Mehrere Frauen sitzen in einem Raum und klopfen mit einem Stein die Früchte auf. In jeder Frucht stecken zwei Kerne, aus denen später das Öl gepresst wird. Ich darf mich dazusetzen und komme ins Gespräch mit einer jungen Frau, die ihr Töchterchen dabeihat. Auch ihre Mutter arbeitet hier – drei Generationen vereint. Die junge Frau erzählt mir, dass insgesamt 60 Frauen in der Kooperative beschäftigt sind. Sechs Tage die Woche arbeiten sie, am Sonntag ist Ruhetag. Sie hat noch eine ältere Tochter, die schon zur Schule geht. Der Mann ist „perdu“ und sie gibt mir zu verstehen, dass er wohl zu viel getrunken hat. Nun sorgt sie allein für die beiden Kinder und ist froh, in der Kooperative Arbeit gefunden zu haben. Ich darf fotografieren und sie fragt mich noch höflich, ob ich vielleicht Kinderkleidung dabeihätte. Haben wir natürlich nicht, aber die Kleine freut sich über Haarschmuck und auch für die Frauen findet sich etwas in unserer Kleiderkiste. Für das Schulkind sind nun die „Stylos“ tatsächlich angebracht und wir geben sie gerne. In diesem Fall denken wir, dass die Spenden tatsächlich ankommen und nicht penetrant eingefordert werden. Das macht den Unterschied.

In der Kooperative ist auch alles blitzsauber, die Atmosphäre unter den Frauen ist locker und lustig. Eine Frau kocht Tee für alle. Der Besuch hier ist sehr beeindruckend und auch ein wenig berührend. Natürlich nehmen wir auch ein paar Fläschchen Arganöl mit. Eins für die innerliche und eins für die äußerliche Anwendung.

Über die Stadt der Silberschmiede Tiznit, in der Frank die Künste eines marokkanischen Barbiers testet, fahren wir ins Herz des Antiatlas nach Tafraoute. Auf dem Weg dorthin wieder ein Erlebnis, welches das Daumen-Barometer nach unten zucken lässt. Wir wollen uns in einem Dorf einen sogenannten „Marabout“ anschauen. Das sind Grabmäler von Heiligen, die von den Berberstämmen verehrt werden, weil sie eine ganz besondere Gabe hatten. Oft sind diese Marabouts auch Pilgerstätten, zu denen Wallfahrten unternommen werden. Also unserem Christentum nicht ganz unähnlich. Das Dorf wurde im Reiseführer als noch sehr „ursprünglich und unverdorben“ bezeichnet. Wir kommen an einem Freitagnachmittag hierher. In der Tat wirkt der Ort wie ausgestorben, niemand ist zu sehen und den Marabout können wir schon von weitem erkennen. Nun ist es ja auch gänzlich unmöglich, mit unserem Mumin unbemerkt in ein Dorf zu kommen. Kaum dass wir ihn am Flussufer abgestellt haben, kommen aus allen Löchern – und zwar wirklich aus ALLEN – schreiend und rufend Kinder angerannt. Wir sind noch nicht ausgestiegen, da ist der Mumin von gut 30-40 Kindern aller Altersklassen umringt. Ein richtiges Überfallkommando. Wir überlegen noch, ob wir überhaupt aussteigen sollen. Aber so leicht lassen wir uns nicht verjagen. Es ist dann aber fast unmöglich, einen Schritt zu tun. Von überall dröhnen die Rufe nach Schokolade und Stylos. Ja zum Kuckuck – heiße ich  Faber-Castell??? Wohlgemerkt: keines der Kinder sieht irgendwie abgerissen, abgemagert oder schlecht gekleidet aus. Ganz im Gegenteil. Die T-Shirts mit den Namen bekannter Fußballer-Größen entsprechen dem aktuellen Modetrend.

 

Da taucht ein älterer Mann auf, verscheucht die Kinderschar und als das nicht gleich klappt, wirft er ihnen Steine hinterher. Auch nicht wirklich die feine Art. Mit einem ziemlich mulmigen Gefühl schauen wir uns eher halbherzig und nun in Ruhe das architektonisch ganz nette Bauwerk an, dann zieht es uns aber auch schnell weg von diesem Ort. Was bleibt ist wieder mal ein schaler Beigeschmack.

 

Wir lassen uns dann ablenken durch die wirklich schöne Landschaft, durch die wir nun fahren. So gelangen wir nach Tafraoute – den Ort, den wohl jeder Marokkoreisende kennt. Er ist das Herz des Antiatlas und Treffpunkt von Reisenden. Tja, wenn nur schon jemand da wäre! Der riesige Platz unter Palmen, auf dem sich in den Wintermonaten hunderte von Wohnmobilen tummeln, ist leer. Ist tatsächlich etwas dran, dass man hier nicht mehr freistehen kann? Wir sehen nur ein einsames französisches Wohnmobil, sonst nix. Aber die Region ist wirklich grandios. Tafraoute ist eine Dattelpalmenoase, umgeben von der Bergkulisse der Zweitausender. Das rötliche Granitmassiv besteht aus bizarren Kullerfelsen, dazu das Grün der Palmen – ein faszinierender Kontrast.

 

Wir stellen den Mumin mal in die Nähe eines Campingplatzes, da wir dort ohnehin nicht durch das Tor passen. Anstandshalber fragen wir nach, ob das ok ist. Ja – ist es. Das Grundstück gehört zum Campingplatz, ist bewacht und wir könnten, wenn wir wollten, auch die Einrichtungen des Platzes nutzen. Allerdings sind wir ein wenig auf dem Präsentierteller und es dauert nicht lange, da kommt jemand vorbei und will uns die Haare schneiden, dann eine Tajine kochen, dann eine Einladung ein Teppichhaus in der Stadt zu besuchen. Jo mei – that’s Marocco!

 

Die Nacht ist überraschend ruhig, kein Muezzin und kein Hundegebell. Am nächsten Morgen erledigen wir noch ein paar Einkäufe in der Stadt, dann fahren wir hinaus zu den berühmten blauen Felsen. Dort haben wir einen Tipp für ein feines Plätzchen zum freien Stehen bekommen. Es geht über eine ganz passable Piste dorthin und tatsächlich finden wir vor der bizarren Kulisse bunt bemalter Felsen einen wunderbaren und ruhigen Platz, der unser Daumen-Barometer ganz weit nach oben schnellen lässt.

 

Die bunten Felsen sind das Werk eines belgischen Künstlers, der hier in den 1980er Jahren die runden Kullerfelsen mit überwiegend blauer Farbe bemalt hat. Nicht unumstritten. Die Farben waren wohl in den vergangenen Jahren verblasst, aber aktuell erstrahlen sie wieder frisch und neu. Und es scheint, als hätte die Bevölkerung von Tafraoute das Kunstwerk noch erweitert. Überall verstreut findet man sie – die bunten Steine. Irgendwie bizarr und doch faszinierend. Vor allem in den Abendstunden, wenn die natürlichen Felsen mit den bunten Felsen im Sonnenuntergang ein ganz besonderes Farbspiel abgeben. Uns gefällt es hier so gut, dass wir gleich noch eine Nacht dranhängen.

 

Am nächsten Tag entdecken wir bei unserem Hundespaziergang unten in der Ebene ein weiteres Expeditionsmobil, das mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich stöbere in meinen grauen Gehirnzellen, dann im Internet und tatsächlich sehen wir dort unten die Schweizer Reisefreunde von Rita und Rudi, den Vorbesitzern unseres Mumin. Frank schwingt sich aufs Fahrrad und fährt hinunter zu Rosemarie und Fritz. Mit ihrem 6-Achser-MAN wären sie die ideale Reisebegleitung in der Wüste. Doch die beiden sind auf dem Weg nach Südafrika. Frank unterhält sich trotzdem noch nett mit ihnen. Die Welt der Weltenbummler ist manchmal tatsächlich sehr klein und es ist immer wieder spannend, wo und mit wem sich die Wege kreuzen.

 


Auf dem Weg in die Wüste

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Kommentare: 1
  • #1

    Bettina (Freitag, 25 Oktober 2019 10:27)

    Hallo ihr 2,
    vielen Dank für Eure schönen Berichte. Ich freue mich über jedes Update :)
    Liebe Grüße
    Bettina