Die Studentenstadt Tartu und Russland-Feeling am Peipsi Järv

Nach einer traumhaft ruhigen Nacht in de Wildnis ist uns heute wieder einmal danach, unter Leute zu gehen. Auf Nebenstraßen geht es etwa 40 Kilometer bis nach Tartu. Hier finden wir völlig problemlos einen Parkplatz mitten im Zentrum und direkt vor der Fußgängerzone. Wir bezahlen 2 Euro für 3 Stunden und machen uns auf den kurzen Weg in Estlands älteste Stadt.

Im rosafarbenen Rathaus erhalten wir in der Touristeninformation einen deutschsprachigen Stadtplan mit allen Erklärungen für einen Rundgang durch die Universitätsstadt. Tartu ist Estands zweitgrößte Stadt, wirkt allerdings sehr überschaubar und sehr jung. Tartu ist seit 1632 Universitätsstadt und beansprucht für sich, die spirituelle Hauptstadt zu sein. Entsprechend studentisch geprägt ist das Leben hier.

Wir bummeln über den Domberg mit vielen Universitätsgebäuden und den Statuen berühmter Gelehrter und Forscher.

Über die Engelsbrücke geht es wieder hinunter in die Altstadt, in der wir uns in einem Straßencafé mit leckeren Wraps stärken. In der Markthalle erstehen wir noch Kartoffeln und Honig, dann es entlang des Flusses Emajögi wieder zurück zum Mumin. Tartu, ein Provinzstädtchen, dessen Charme uns bezaubert.

Nach unserem Stadtbummel zieht es uns wieder hinaus auf's Land und in Richtung des Peipsi Järv. Es ist der größte See Estlands und fünftgrößte See Europas. Bevor wir uns jedoch dem Wasser zuwenden, legen wir noch einen Stopp in Alatskivi ein. Hier erwartet uns ein Schloss - strahlend weiß - wie es auch in Schottland stehen könnte. Tatsächlich ist es teilweise nach dem Vorbild vom Balmoral Castle erbaut und beherbergt heute nach wechselvoller Geschichte ein Restaurant und Hotel.

Wir drehen eine Runde durch den weitläufigen Park mit zwei Seen und erledigen im kleinen Supermarkt des Ortes noch ein paar Einkäufe.

Als letzte Etappe geht es nun an das Ufer des Peipsi Järv. Der See, der fast schon ein Meer ist, bildet die Grenze zu Russland. Die Grenze verläuft mitten durch den See, der sich über eine Länge von fast 150 Kilometern und einer Breite von bis zu 50 Kilometern erstreckt.

Im kleinen Weiler Nina finden wir dann auch unseren angestrebten Übernachtungsplatz an einem Leuchtturm und hinter einer russisch-orthodoxen Kirche. Wieder einmal ein Kaiserplätzchen direkt am Wasser!

Wir sind nun in der Region des Peipus-Sees, in der russische Altgläubige leben. Sie sind noch fest in ihren Traditionen verwurzelt. Da sie in Russland ihre Religion nicht ausüben durften und verfolgt wurden, ließen sich viele der Altgläubigen am Peipus-See nieder, wo sie neue Dörfer gründeten. Da sie überwiegend vom Fischfang und dem Anbau von Gemüse leben, werden sie bei den Esten auch liebevoll "Zwiebelrussen" genannt.

 

Wir unternehmen in dem kleinen Weiler Nina noch einen Spaziergang durch das Dorf. Ein typisches Straßendorf mit netten Holzhäusern und großen Gärten. Viele haben einen direkten Seezugang mit kleinen Booten. Es wirkt jedoch alles irgendwie ausgestorben. Im Laufe des Abends taucht dann doch noch der eine oder andere an unserem Plätzchen auf und schaut nach, ob da alles mit rechten Dingen zugeht.

Wir genießen noch ein wenig den Sonnenschein vor dem Mumin, doch die Schneereste am See zeigen, dass der Winter hier gerade mal so auf dem Rückzug ist. Dann zieht es uns nach drinnen, wo wir uns einen gemütlichen Abend mit herrlichem Blick auf den See machen.


Unterwegs am Peipsi Järv

Wieder einmal schlafen wir wie die Murmeltiere und werden von einem herrlichen Sonnenaufgang über dem See begrüßt. Es ist erstaunlich mild draußen. Noch ist niemand um uns herum. Also Fenster auf und dem Plätschern der Welle vor dem Fenster lauschen, den Möwen beim morgendlichen Fischfang zuschauen und einfach nur die Ruhe des Augenblicks genießen. Was gibt es Schöneres.

Gegen 8 Uhr ertönen hinter uns die Glocken der Kirche. Das scheint auch der Weckruf für die Dorfbevölkerung zu sein. Wir sind gerade mit dem Frühstück fertig, da beginnt es um uns herum zu wimmeln. Offenbar ist "Dorfputzete" angesagt. Männer mit Mülltüten sammeln Unrat am Ufer ein, Frauen kommen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Bewaffnet mit Körben, Besen und Rechen. Rund um den Leuchtturm und die Kirche wird gekehrt, Laub zusammen gerecht und (wenig) Müll eingesammelt. Man grüßt uns freundlich, aber höflich distanziert. Fremde eben. Es wird Zeit, dass wir Platz für den Frühjahrsputz machen.

 

Unsere heutige Route führt uns entlang des Peipsi Järv in Richtung Norden. Unterwegs machen wir einen ersten Halt in Kallaste. Hier leben ebenfalls russische Altgläubige. Der Ort wartet mit einer weiteren Besonderheit auf: die roten Sandsteinklippen von Kallaste. Vögel haben sich Nisthöhlen in das weiche Gestein gegraben und Klippen unterteilen den Sandstrand in mehrere kleine Buchten. Überall am See verteilt liegen mal große mal kleine Findlinge. Hinterlassenschaften der früheren Gletscher und wie mit Riesenhand verteilte Bauklötze.

Wenige Meter weiter am Hafen ist ein kleiner Badeplatz mit einem Aussichtsturm angelegt. Von hier oben aus entdecken wir auch eines der Fahrzeuge, mit denen im Winter auf dem zugefrorenen Peipsi Järv Eisfischen betrieben wird.

Mal mehr mal weniger nah am See geht es weiter durch mehrere altrussische Dörfer mit ihren Zwiebelturm-Kirchen bis nach Mustvee. Mustvee ist ein größerer Ort, der im zweiten Weltkrieg nahezu völlig zerstört wurde und keine alten Häuser mehr aufzuweisen hat. Statt dessen ist alles ein wenig sowjetisch postmodern wieder aufgebaut worden. Wir parken an der Marina und erstehen im Einkaufszentrum frischen Fisch. In einer kleinen Bäckerei bekommen wir zwar kein Brot, doch dafür noch ofenwarme und duftende Zimtschnecken sowie mit Reis und Fleisch gefüllte Blätterteig-Teilchen. Zeit für eine Mittagspause auf der Bank am Seeufer.

 

 

Das Wetter ist zwar weiterhin sehr mild, aber es bewölkt sich zunehmend. Über dem Peipussee liegt eine Dunstglocke, so dass kaum ein Horizont auszumachen ist. Alles wirkt irgendwie verwaschen. Wir fahren weiter bis nach Kauksi am Nordufer des Sees. Unterwegs wird aus mobilen Verkaufsständen immer wieder Räucherfisch angeboten.

In Kauksi gibt es gleich mehrere Zeltplätze im Kiefernwald hinter Sanddünen. Alle werden wieder von der Forstbehörde RMK betrieben und sind jetzt in der Vorsaison kostenlos. Wir finden wieder ein wunderschönes Plätzchen, so dass wir schon gegen 14 Uhr unser heutiges Tagessoll beenden.

 

Wir richten uns gemütlich ein und unternehmen einen schönen Strandspaziergang. Hier führen mehrere schön angelegte Holzbohlenwege über die Dünen an den Strand, es gibt Spielplätze, Bänke und DC-Toiletten. Auch hier sind wir so gut wie alleine. Nur ein Youtuber agiert mit seiner Action-Cam am Strand und filmt sich ziemlich aufwändig dabei, wie er in den kalten Fluten des Sees abtaucht. In einem Gewässer, in dem noch Eisbrocken schwimmen, hält sich mein Bedarf an Schwimmübungen doch sehr in Grenzen ;)

Nach einer Siesta am See, Kaffee trinken und noch ein bisschen herumwerkeln machen wir uns nochmals auf zu einem Strandspaziergang. Mittlerweile ist es völlig bewölkt und über dem See hängt eine Nebelglocke. DIe Luft ist jedoch sehr, sehr mild, es weht kein Windhauch und der See ist spiegelglatt. Alles wirkt verwaschen und es ist kein Unterschied zwischen Wasser und Himmel auszumachen. Es herrscht eine ganz eigentümliche Atmosphäre zumal wir auch völlig allein unterwegs sind. Fast ein wenig sphärisch und wenn jetzt die Nebelgeister aus dem See emporsteigen..... Oh jeh, die Phantasie geht wohl mal wieder mit mir durch.

Zum Abendessen gibt es den Fisch - keine Ahnung, welcher Gattung er mal angehörte. Im Peipsi Järv soll es mehr als 37 Arten geben und unserer ist sehr lecker!

Dann backen wir noch Brot und planen die morgige Route. Um uns herum herrscht mal wieder völlige Stille und wir verbringen eine sehr ruhige Nacht.


Ein russisches Kloster, ein Wasserfall und ein steinreiches Land