Albanien verlassen wir am 8. Mai über das Vermosh-Tal. Die ominöse Höhenbegrenzung an einer Bahnunterführung von 3,50 Metern gibt es immer noch. Doch wir unterqueren die Brücke mit viel Luft nach oben. Dann geht es hinauf zum Viewpoint an der spektakulären Serpentinenstrecke ins Tal des Flusses Cem. Dort gibt es mittlerweile ein mobiles Café, an dem wir gerne eine erste Pause einlegen. Mit großem Staunen erleben wir, wie eine Gruppe junger Polen die Skateboards aus dem Auto holt, um sich damit halsbrecherisch in die Tiefe zu stürzen. Ein waghalsiges Unterfangen und wir sind froh, dass die Jungs ohne Blessuren unten ankommen.
Für uns geht es weiter durch atemberaubende Landschaften. Nach wie vor ist das Vermosh-Tal für uns ein echtes Highlight und bei weitem nicht so touristisch überlaufen wie beispielsweise das Theth- oder das Valbona-Tal. Am kleinen Grenzübergang nach Montenegro dann doch noch eine kleine Herausforderung. Vor uns liegt eine schmale, nicht wirklich Vertrauen erweckende Brücke mit Holzbohlen. Davor steht ein Kastenwagen mit deutscher Zulassung. Wir steigen aus und Frank checkt erst einmal die Bausubstanz der Brücke. Kommentar des Kastenwagen-Fahrers: »Wenn ihr drüber fahrt, trauen wir uns auch«. So ein Hasenfuß!!!
Für uns wäre es blöd, die ganzen 80 Kilometer wieder zurück zu fahren. Also Augen zu und durch - Die Brücke hält und der Vanlifer folgt uns unauffällig. Unser Ziel ist schließlich Plav, wo wir am gleichnamigen See einen Campingplatz beziehen. Rein kommen wir, aber der Mumin rutscht auf der abschüssigen, nassen Wiese doch ein wenig bedenklich seitwärts. Den leicht touchierten Holzzaun können wir glücklicherweise wieder gerade rücken. Wie wir hier wieder rauskommen, das sehen wir morgen. Vorerst starten wir nach einem späten Mittagessen zur Ortserkundung von Plav. Ein wenig sozialistisch-jugoslawischer Charme mit einigen osmanischen Gebäuden und Moscheen. Und ein beliebter Ort der Sommerfrische bei den Montenegrinern.
Sanitäranlagen auf Montenegrinisch...
Unsere Fahrt geht weiter im Landesinneren zum Biograndska Gora Nationalpark. Dazu entscheiden wir uns, nicht quer über die Berge auf Sträßchen, die für den Mumin nur schwer einschätzbar sind zu fahren, sondern stattdessen die etwas weitere Route »außenrum« zu nehmen. Montenegro hat gleich mehrere sogenannter Panoramarouten ausgewiesen, die sehr gut ausgeschildert sind und zu den Highlights des Landes führen. Wir sind auf der Nummer 1 unterwegs und fahren zunächst durch das schöne Tal des Flusses Lim. Ein breites, von bewaldeten Hügeln gesäumtes Tal mit einfachen Dörfern, Gehöften und dazwischen auch schönen Ferienhäuschen im Tipi-Stil. »Bikers welcome« liest man häufig und wir vermuten, dass sich die Panoramaroute 1 besonders bei Motorradfahrern großer Beliebtheit erfreut.
Immer wieder will uns das Navi auf schmale Straßen in die Berge lotsen. Doch wir bleiben standhaft und folgen unserer Route bis nach Berane. Die Stadt überrascht uns mit einer riesigen Industrieruine. Was auch immer es gewesen sein mag - wir konnten es nicht herausfinden. Für uns beginnt nun auch das Übel. Am Stadtrand stauen sich die LKWs in langer Schlange. Als Frank aussteigt und die Lage sondiert, werden wir von Bauarbeitern durchgewunken. Die Straße ist eine Großbaustelle und offenbar wird ein Tunnel saniert. Die LKWs müssen auf eine Freigabe warten, aber der Mumin scheint den Bauarbeitern Umleitungs-tauglich. Diese führt uns steil auf einer Lehmpiste bergauf. Hallelujah - für uns beginnt jetzt ein ungeplantes Offroad-Abenteuer mit Gegenverkehr auf provisorischer Piste hoch über einem steilen Abgrund. Tief unter uns können wir die Tunnelstrecke sehen. Nach gut sechs Kilometern geht es durch einen Wald wieder talwärts. Die tiefen Äste schrammen am Mumin, dann kommt auch noch ein enges Dorf. Irgendwie schaffen wir es, unbeschadet wieder zurück auf die Straße zu gelangen.
Leider wird es nicht besser - eine Baustelle folgt der anderen. So hoppeln wir die restlichen Kilometer bis zum Biograndska Gora Nationalpark. Dort bezahlen wir 4 Euro Eintritt pro Person und dürfen sogar für weitere 22 Euro am Besucherzentrum übernachten. Nicht wirklich ein Schnäppchen, aber es gibt kaum Alternativen und wir sind im Nationalpark-Gebiet.
Somit machen wir uns auf den Weg zur Umrundung des Biograndsko Jezero. Einem von insgesamt sechs Gletscherseen, der mit einem »Education Path« toll angelegt wurde. Der Nationalpark ist einer der letzten Urwälder Europas und erinnert uns sehr an den Buchen-Urwald im Dreiländereck Slowakei-Polen-Ukraine. Wunderschön, auch oder trotz des einsetzenden Regens. Ein grüner Dschungel mit Holzstegen, moosbewachsenen Steinen, kleinen Tümpeln und Bächen. Überall blüht der Bärlauch und über allem hängt ein würziger Duft. Außer uns ist fast niemand unterwegs und wir genießen den fast schon mystischen Märchenwald.
Eigentlich wäre unser nächstes Ziel die Tara-Schlucht und der Durmitor-Nationalpark gewesen. Doch manchmal kommt es eben anders als man denkt. Wegen des Wochenendes stehen wir zeitig auf und sind bereits kurz nach acht Uhr startklar. Eine Google-Maps-Sperrung der Straße zur Tara-Schlucht bereitet uns allerdings ein wenig Kopfzerbrechen, so dass wir uns an der Touristen-Information zunächst ein wenig schlau machen. Tatsächlich ist die P4 zwar für uns befahrbar, aber während der Saison nur von 12 bis 14 Uhr für den Verkehr geöffnet. Also einen langen Umweg komplett außen herum, warten bis 12 Uhr oder ganz darauf verzichten? Nach kurzer Lagebesprechung planen wir um und geben dem Kloster Ostrog den Vorzug, das wir eigentlich von unserer Liste gestrichen hatten.
Durch die landschaftlich wunderschöne Morava-Schlucht fahren wir in Richtung Podgorica und nehmen ab Danilovgrad eine gut ausgebaute Straße hinauf zum Kloster. Eine zweite Strecke wäre für unseren Mumin ziemlich spannend, da eng, kurvig und mit einer Tunneldurchfahrt. Unterwegs begegnen uns immer wieder kleinere Pilgergruppen und Wanderer, die zu Fuß auf den »Heiligen Berg« marschieren. Noch denken wir uns nichts Böses. Dass wir am unteren Klosterparkplatz von einem netten Parkwächter auf einen freien Busparkplatz gewunken werden, freut uns und wir schreiben es dem Wochenende zu, dass wir nicht auf den nächsthöheren Parkplatz kommen. Wir machen erst einmal Mittagspause, dann geht es plötzlich Schlag-auf-Schlag. Ruckzuck sind wir von weiteren Reisebussen und PKWs eingeparkt. Vor uns, hinter uns, neben uns. Selbst wenn wir wollten, hier kommen wir vorerst nicht mehr weg. Ein netter Busfahrer aus Nordmazedonien spricht ein wenig Englisch und klärt uns auf.
Wir sind mitten im wohl wichtigsten serbisch-orthodoxen-Feiertagswochenende am Kloster Ostrog aufgeschlagen. Zehntausende von Pilgern kommen an diesem Wochenende auf den Berg, um hier Gottesdienste zu feiern und die Nacht zu verbringen. Sie kommen aus den Nachbarländern Bosnien-Herzegowina, Serbien, Nordmazedonien und natürlich Montenegro, um den Klostergründer und Heiligen Vasili zu feiern. Wieder einmal haben wir das Glück der Dummen und sind mittendrin statt nur dabei.
Also machen wir uns auf den Weg und marschieren die restlichen 2,5 Kilometer zum Kloster hinauf. Über Serpentinenwege und steile, blankpolierte Felstreppen arbeiten wir uns empor. Die echten Pilger ziehen ihre Schuhe aus und gehen barfuß! Oben angekommen zeigt sich das gesamte Ausmaß dieses Events. Der ganze Berg ist eine riesiges Matrazen-Freiluftlager mit Camps von Pilgergruppen. Ein Durchkommen zum Kloster - keine Chance. Der Hof ist proppenvoll, die Menschen aller Altersgruppen singen, beten oder warten einfach nur darauf, dass sich die riesige Warteschlange millimeterweise bewegt. Also steigen wir wieder hinunter zu unserem Mumin, wo es immer voller wird. Frank gesellt sich zu den Busfahrern, es gibt Brathähnchen, Bier und Zigaretten. Vor Montag kommen wir hier wohl nicht mehr weg - so heißt es.
Die Nacht auf Sonntag war dann auch entsprechend unruhig. Gegen Mitternacht gab es nochmal einen Gottesdienst, die Glocken und der Gesang der Mönche schallten über das Tal. Das hatte schon was und es herrschte eine ganz besondere Stimmung. Fast schon ein wenig Gänsehaut-Feeling.
Die weniger schöne Seite war, dass viele Rückkehrer den nächtlichen Schutz unserer Reisebus-Mumin-Wagenburg zur körperlichen Erleichterung nutzten. Irgendwann war dann Ruhe, bis morgens um 6 Uhr erneut die Glocken bimmeln und die Gesänge ertönen. Die nächste Pilgerschicht ist bereits im Anmarsch. Die Busfahrer nebenan sind schon startklar, dann kommt die Order der Polizei, dass Busse vor 14 Uhr nicht wegfahren dürfen. Die Straßen sind zugeparkt und es herrscht zu viel Verkehr bergauf. Die Jungs tun mir wirklich leid, denn sie haben noch lange Fahrstrecken von bis zu 10 Stunden vor sich. Doch weder die Fahrer noch die Gäste beschweren sich. Man kocht Kaffee, versorgt sich mit Wasser und wartet, bis die Polizei am frühen Nachmittag grünes Licht gibt.
Wir lassen den Sonntag gemütlich angehen, genießen ein ausgiebiges Frühstück, arbeiten ein wenig vor uns hin und machen uns am späten Nachmittag nochmals auf den Weg zum Kloster. Die Reisebusse sind zwar weg, doch jetzt kommen PKWs und Motorräder in großer Zahl. Oben angekommen ist es deutlich leerer geworden, die Helfer räumen Matrazen und Decken weg, aber die Warteschlange ins Kloster ist immer noch riesig. Wir erhaschen heute zumindest einen kurzen Blick auf die Anlage. Derweil ziehen dunkle Wolken auf, wir warten den Gewitterregen ab, werden auf dem Rückweg trotzdem nochmal ordentlich nass und kommen zu der Erkenntnis, dass uns der heilige Vasili einfach nicht so richtig wohlgesonnen ist.
Wer genau hinschaut, kann über dem Kloster ein Gesicht im Felsen erkennen. Wir wissen nicht, ob es nur eine optische Täuschung ist oder ob tatsächlich ein tieferer Sinn dahinter steckt.
Zum Schluss möchten wir noch ein wenig Werbung für unsere Autorenkollegen Anne und Michael Lindner machen. Sie haben den WOMO-Reisefüher »Entdeckertouren mit dem Wohnmobil - Kroatien und Montenegro« geschrieben. Darin gibt es noch viel mehr Reisetipps zu Montenegro und wir durften die Tour schon mal probefahren. Vielen Dank an euch beide und wer noch mehr erfahren möchte, kann mal hier www.advance-explorer.com vorbei schauen.
Für uns geht es nach der ungeplanten Auszeit weiter nach Bosnien und Herzegowina. Doch das wird dann wieder eine neue Geschichte.