Bereits bei unserer ersten Reise nach Albanien im Jahr 2021 wurde der Wunsch geweckt, das Transit-Land Bosnien und Herzegowina näher zu erkunden. Damals mussten wir aufgrund der Corona-Bestimmungen tatsächlich im Hau-Ruck durch den Balkanstaat düsen. Doch was wir dabei im Schnelldurchlauf zu sehen bekamen, machte uns neugierig. Nun haben sich die Reisebedingungen glücklicherweise wieder normalisiert und da die Albanien-Nachrecherche ziemlich flott voran gegangen war, bleibt uns jetzt Zeit für ein paar Stationen in Bosnien und Herzegowina.
Montenegro verlassen wir auf bereits bekannter Route über die Berge und den Grenzübergang weit oberhalb der Bucht von Kotor. Ich bin jedes Mal begeistert von dem Weitblick, der sich hier bietet. Die Grenzbeamten sind fast um ihren Arbeitsplatz zu beneiden.
Wir werden herzlich in Bosnien und Herzegowina begrüßt und rollen nun bergab durch das gleichnamige Flusstal nach Trebinje und weiter nach Lubinje. In Stolac legen wir einen Halt für die Kaffeepause ein und besuchen auch gleich die Nekropole mit den sogenannten Stecci. Es handelt sich dabei um mittelalterliche Grabsteine, die auf dem Balkan weit verbreitet sind. Die Funde bei Stolac gehören zu einer der am besten erhaltenen Anlagen und zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Weiter geht es die restlichen Kilometer bis nach Mostar. Unterwegs kaufen wir am Straßenrand die ersten Kirschen dieses Jahres und beziehen Quartier auf dem Campingplatz Neretva am Stadtrand. Mit 30 Euro pro Nacht kein Schnäppchen, aber gut gelegen, um Mostar zu erkunden. Das tun wir dann am nächsten Tag.
Mit dem Taxi fahren wir ins Zentrum von Mostar. Die Stadt war im Jugoslawien-Krieg vor 30 Jahren arg in Mitleidenschaft gezogen worden und vom Genozid an der muslimischen Bevölkerung betroffen. Unser Taxifahrer lässt uns etwas abseits der Altstadt aussteigen und wir entdecken entlang unserem Fußweg zahlreiche Wohnblocks mit sehenswerten Murals/Fassadenmalereien. Bereits bei der Fahrt mit dem Taxi konnten wir an alten Fabrikruinen die besonderen Streetart-Kunstwerke bewundern.
Die Altstadt Mostars ist dann sehr touristisch geprägt. Ganze Heerscharen von Reisegruppen aus aller Welt schieben sich durch die engen Gassen des Basars. Das Kopfstein-Pflaster ist blankpoliert und man muss höllisch aufpassen, nicht auszurutschen. Ein Souvenirshop reiht sich an den nächsten und man muss nur den Massen folgen, um unweigerlich an die Stari Most zu gelangen. DAS Wahrzeichen Mostars. Die Brücke wurde im Krieg zerstört, danach aber wieder aufgebaut und hat damit auch Symbolcharakter.
Die Brückenspringer ziehen dort ihre Show vor den Touristen ab. Mehrere gut gebaute Männer in Badehose gehen mit der Spendenbüchse durch die Reihen, turnen auf der Brücke herum und sammeln erst einmal so viel Geld, bis sich der Sprung auch lohnt. Den wagt dann ein ganz anderer, der im Neopren-Anzug aus dem Hintergebäude kommt und sich von der Brücke in die Neretva stürzt. Ein ganz besonderes Spektakel!
Wir lassen uns in einem der Cafés nieder, genießen dort den Mokka, der im Kupferkännchen serviert wird und schauen uns im Anschluss das sehr berührende »Museum of War and Genozid« an. Es ist einfach unvorstellbar, was sich hier vor nur 30 Jahren abspielte. Geschenkt haben sich Serben, Kroaten und Bosnier nichts. Die Gewalt tobte auf allen Seiten.
Etwas abseits des Altstadt-Trubels finden wir ein nettes Restaurant mit Aussichtsterrasse. Frank bekommt seine üppige Balkanplatte, die eigentlich einen Verdauungsspaziergang zurück zum Campingplatz gefordert hätte. Doch ein Gewitterregen lässt uns in ein Taxi springen. Der Fahrer spricht perfekt Deutsch. Er floh mit seiner Familie als 7jähriger vor dem Krieg und wuchs in Sandhausen bei Heidelberg auf. 1997 kam er wieder zurück nach Mostar, wo er mit seiner Familie alles neu aufbauen musste. So bekommen wir weitere Einblicke in die Geschichte der Stadt, des Landes und seiner Menschen. Auch dies sehr beeindruckend.
Von Moster fahren wir etwa 15 Kilometer zurück nach Blagaj, um dort das Derwischkloster zu besuchen. Wir sind zwar bereits um 9 Uhr da, doch einige Reisebusse waren schneller. Die gesamte Anlage ist ebenfalls ein touristischer Hotspot mit etlichen Restaurants am Wasser und einer Souvenirmeile. Die Lage des Klosters direkt an der Buna-Quelle ist aber auch gar zu schön.
Nach einer Besichtigungsrunde geht die Fahrt weiter in Richtung Sarajevo. Wir folgen dabei einer Hauptverkehrsachse, die uns entlang dem mehrmals aufgestauten Fluss Neretva führt. Landschaftlich ist die Route ein echtes Highlight und die parallel verlaufende Bahnlinie gilt als eine der schönsten Europas. So gelangen wir nach Jablanica und den dortigen Gedenkpark zur Schlacht an der Neretva 1943. Damals startete die deutsche Wehrmacht einen Vorstoß auf den Balkan. Um sie aufzuhalten, wandten die jugoslawischen Partisanen unter Tito eine List an und zerstörten als Ablenkung die Eisenbahnbrücke über die Neretva.
Die Brücke erlebte später eine wechselvolle Geschichte mit Wiederaufbau und endgültiger Zerstörung durch ein Filmteam. Das Drama an der Neretva wurde in den 1960ern mit einem großen Hollywood-Staraufgebot verfilmt. Unter anderem mit Orson Wells, Richtard Burton, Jules Brunner, Hardy Krüger... Das Filmplakat wurde von Pablo Picasso gestaltet, der dafür kein Honorar, sondern 12 ausgewählte Flaschen jugoslawischen Weines verlangte.
Das und mehr erfährt man im angegliederten Museum, das noch ein wenig den Beton-Charme Ex-Jugoslawiens verströmt. Wir haben wieder mal etwas dazu gelernt, denn von dieser Geschichte hatten wir so gar keine Ahnung.
Nach einer ruhigen Nacht am Rand der Gedenkstätte geht's weiter gen Norden. Unser nächstes Ziel heißt Jajce und laut unserer Landkarte soll dies eine landschaftlich reizvolle Route sein. Was soll ich sagen - uns wird nicht zu viel versprochen. Die Straße führt uns hinauf auf 1.100 Meter hohe Pässe, dann wieder durch grüne Wälder und Flusstäler. Wir passieren kleine Dörfer und erreichen auf einer Passhöhe ein zerstörtes Mahnmal. Das Modell dazu hatten wir im Museum in Jablanica gesehen. Es war das letzte Monument aus jugoslawischer Zeit, das an den 2. Weltkrieg erinnerte. Wer es zerstört hat und warum, ist unbekannt. Es war wohl Anfang der 2000er Jahre, als das Beton-Monstrum durch Vandalismus gesprengt wurde. Heute ist dies ein Lost Place in herrlicher Aussichtslage.
Danach geht es talwärts und wir erreichen ein breites Tal mit kleinen Städtchen und Dörfern. Was uns erschüttert: hier scheint es einen verheerenden Häuserkampf gegeben zu habe. Überall sehen wir noch zerschossene und verlassene Gebäude. Ihre Besitzer sind Menschen, die nach ihrer Flucht vor dem Krieg nicht mehr zurück gekommen sind oder die den Krieg nicht überlebten. Die Orte sind muslimisch geprägt, wir sehen viele Moscheen und Friedhöfe. Das stimmt uns trotz der landschaftlichen Idylle, die uns an das Taubertal erinnert, sehr nachdenklich. Immer öfter sehen wir auch Plakate, auf denen um Fachkräfte für den Minen-Räumdienst geworben wird. 30 Jahre ist das jetzt her - wie lange mag da wohl der Wiederaufbau dauern, wenn dieser unsinnige Ukraine-Krieg irgendwann einmal vorüber sein wird?
So erreichen wir Jajce und finden einen netten Stellplatz am Ortsrand direkt am Fluss. Wir unternehmen noch einen Spaziergang in das pittoreske Örtchen mit einer Festung und osmanischen Gebäuden am Burgberg. Einige davon sind dem Verfall preisgegeben, andere jedoch hübsch renoviert mit blumengeschmückten Innenhöfen. Auch den berühmten Wasserfällen statten wir noch einen Besuch ab. Im Sommer stürzen sich hier wagemutige Männer in die Tiefe. Wir ziehen einen kulinarischen Tagesabschluss vor und finden zwischen all den Pizzabuden und Eisdielen tatsächlich ein schönes Restaurant mit einer »Balkanplatte-light«.
Spontan verlängern wir bei schönstem Sommerwetter noch einen Tag in Jajce und wandern zu den Wassermühlen. Gut 12 Kilometer sind wir unterwegs und kommen dabei durch eine eindrucksvolle Wasserwelt mit einem Naturbad, Teichen, kleinen Kaskaden und einem grünen Dschungel. Teilweise geht es über Holzstege und alles ist piccobello hergerichtet. Außerdem ist es extrem sauber, nirgends liegt auch nur ein Fitzelchen Müll herum. Vorbildlich!
An den pittoresken Wassermühlen wird dann eifrig gewerkelt und die Sehenswürdigkeit für die Saison fit gemacht. Die Handwerker installieren neue Pfähle und Wasserräder. Wir umrunden den See nun auf der anderen Seite, genehmigen uns eine Forelle vom Grill in einem wunderschönen Restaurant und verbringen den Rest des Nachmittags gemütlich im Liegestuhl
Ohne weitere Zwischenstopps in Bosnien und Herzegowina geht es weiter in Richtung Heimat. Das Land hat uns auf ganzer Linie überrascht, begeistert und nachdenklich gestimmt. Hier noch so hautnah den Spuren des Krieges aus den 1990er Jahren zu begegnen, hätten wir in diesem Ausmaß nicht erwartet. Überrascht hat uns außerdem, dass sich das Land in mehrere politische Teilgebiete gliedert und dass es hier immer noch (oder immer wieder) Unabhängigkeitsbestrebungen gibt. Bosnien ist der nördliche und größte Landesteil, die Herzegowina liegt südlich davon und dann gibt es da noch die Republica Srpska. Sie umfasst immerhin rund 49 Prozent des Staatsgebietes und wird überwiegend von bosnischen Serben bewohnt, die ihr eigenes politisches System haben. Das Gebiet war einer der Schauplätze des Bosnienkrieges und dort fand das schwerste Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Beim Völkermord von Srebrenica wurden mehr als 8.000 Bosniaken von Soldaten der Republica Srpska ermordet. Dies wirkt bis heute nach und im Gespräch mit Einheimischen spüren wir deutliche Resentiments gegenüber der serbischen Bevölkerung.
Wir verlassen Bosnien und Herzegowina nahe der Stadt Banja Luka und erleben eine weitere Überraschung. Die funkelnagelneue Autobahn endet schlagartig, es gibt noch einen Hinweis auf »Border Crossing« und wir können die Grenze auch schon auf unserem Navi sehen. Doch das leitet uns in die falsche Richtung und nach einigem Hin-und-Her finden wir den Grenzübergang mitten im Städtchen Gradiska dann doch noch. Durch den Pfingstreiseverkehr ist jede Menge Betrieb aus der Gegenrichtung. Fußgänger, LKWs, Reisebusse, Radfahrer tummeln sich kreuz und quer und wir werden nach einer recht oberflächlichen Passkontrolle entnervt durchgewunken. Ins Fahrzeug schaut niemand. Es reicht, dass wir bestätigen wirklich ein Wohnmobil zu sein. Dass wir hier eine EU-Außengrenze haben und mit der Einreise nach Kroatien wieder in der EU sind, interessiert niemanden. Uns soll es ja recht sein, aber man macht sich halt so seine Gedanken.
Auf der Autobahn geht es flott voran und wir erreichen am späteren Nachmittag einen hübschen Übernachtungsplatz in Slowenien. Im kleinen Örtchen Podlehnik finden wir einen Bauernhof-Stellplatz mit sehr netten Betreibern. Die Familie verkauft eigenen Honig und Wein aus der Region. Am Abend sind alle Camper eingeladen, beim Lagerfeuer Schnaps und Wein zu verkosten, dazu gibt es leckere Flammkuchen und es wird eine gemütliche Runde. So lässt sich die Reise schön ausklingen.
Österreich bleibt wieder einmal ein Transitland, das wir diesmal mehr unter- als durchqueren. Wegen Baustellen, Blockabfertigung und Mega-Staus auf der Tauernautobahn wählen wir diesmal die Route über Graz. Sie ist nur unwesentlich länger und für uns ein Novum. Ich (Ulli) übernehme mal wieder das Steuer des Mumin, nicht ahnend, dass es entlang der Strecke von einem Tunnel in den nächsten geht. Insgesamt dürften das knappe 50 Kilometer gewesen sein. Als Fazit muss ich sagen: Österreich wäre ja ganz nett, wenn man etwas davon sehen würde ;)
Bei Augsburg haben wir dann keine Lust mehr zur Weiterfahrt und beschließen den Fahrtag im bewährten Friedberg mit einem Feierabend-Bier am See.
Die restlichen 120 Kilometer sind dann schnell geschafft und wir kommen gut und wohlbehalten wieder zuhause im Ländle an. 57 Reisetage und 5.740 Kilometer liegen hinter uns. Wieder einmal können wir auf schöne Reisebegegnungen zurückblicken, die uns sicher noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Wir haben eindrucksvolle Landschaften kennen gelernt, Bekanntes wieder gefunden, Neues entdeckt, wunderbare Gastfreundschaft erlebt. Albanien und der Balkan sind spannende und in weiten Teilen immer noch unbekannte Reiseländer, die einen Besuch lohnen. Danke für's mitlesen bis hierher und bis zum nächsten Mal!