Von einem mystischen Garten, einem blauen See, Atomraketen und vielen Kreuzen



Heute machen wir uns auf den Weg ins Landesinnere Litauens. Wettergott Petrus ist uns weiterhin hold und wir starten bei frühlingshaftem Wetter und Temperaturen um die 20 Grad. Auf dem Campingplatz erledigen wir noch diverse Ver- und Entsorgungsarbeiten, dann kann es los gehen. Die Fähre bringt uns zurück nach Klaipeda und da füllen wir auch gleich den Dieseltank auf. Weil es mit dem Tankautomaten nicht gleich klappt, kommt uns sogleich ein freundlicher Trucker zu Hilfe. Dann geht es los gen Norden und auf guten Straßen kommen wir flott voran. Unterwegs erledigen wir in einem kleinen Ort auch noch die Einkäufe für das bevorstehende Osterwochenende. Zum ersten Mal kommen wir hier auch in Kontakt mit den Schattenseiten des Landes. Wir werden von einem ziemlich betrunkenen Mann angesprochen, der uns um Zigaretten und Schnaps anbettelt. Er ist ziemlich penetrant und lässt sich auch nicht so einfach abschütteln. Dieses Problem wird uns heute noch mehrfach begegnen.

Auch wenn wir nun eine eher weniger vorzeigbare Region durchqueren, wirken die einfachen Häuser doch gerichtet und aufgeräumt. Überall wird gebaut, die Gärten für den Gemüseanbau vorbereitet. So erreichen wir schließlich Orvydas Garten bei Salantai. Eine der Attraktionen Litauens, aber wir sind alleine auf weiter Flur.

Wir werden von einem - leider ebenfalls ziemlich betrunkenen - Aufseher des Gartens eingelassen. Er scheint so eine Art "Nebensaison-Wärter" zu sein und kassiert von uns den Senioren-Eintritt in Höhe von 3,00 Euro. Auch recht - er verschwindet wieder und wir können uns den Garten in Ruhe anschauen.

 

Der Steinmetz Kazys Orvydas rettete in den 1960er Jahren etliche Grabsteine und Kirchen-Statuen, die von den Sowjets zerstört werden sollten. Er sammelte sie in seinem Garten, fügte Findlinge und Holzskulpturen dazu und schuf zusammen mit seinem Sohn ein Gesamtkunstwerk.

Heute ist dies ein sehr mystischer Ort, in dem es viel zu entdecken gibt. Wir wandeln fast zwei Stunden durch die stillen Winkel, magischen Plätze, versteckte Ecken. Überall summt und brummt es - der Garten scheint gerade vom Frühling wach geküsst zu werden.

Tief beeindruckt fahren wir noch rund 15 Kilometer weiter nach Pliateliai. Hier finden wir am gleichnamigen See im Zemaitjos Nationalpark einen herrlichen 5***** Übernachtungsplatz. Es sind noch ein paar Familien zum Grillen da, aber die gehen gegen Abend, so dass wir hier mal wieder ein Kaiserplätzchen für uns haben. Wir spazieren noch ein wenig mit dem Hund, es wird gekocht und dann genießen wir Abendrot und einen herrlichen Vollmond über dem Wasser. It's magic!!!


Atomraketen und das Museum des Kalten Krieges

Bei weiterhin strahlendem Sonnenschein packen wir die E-Bikes aus und starten zu einer Umrundung des Pliateliai-Sees. Zuvor allerdings gibt es das erste Frühstück draußen.

Der Radweg führt uns bestens ausgeschildert und ausgebaut auf 24 Kilometern rund um den See. Unterwegs immer wieder vorbildlich angelegte Rast- und Picknickplätze mit Mülleimern, Bänken und Fahrradständern. Auch an Info-Tafeln fehlt es nicht und die verschiedenen Aussichtsplattformen bieten immer wieder grandiose Ausblicke. Es ist Genussradeln pur und wir begegnen keiner Menschenseele. Unterwegs passieren wir ein Luxus-Spa-Ressort mit parkartig angelegtem Garten. Auch eine Feriensiedlung mit Blockhäusern und Campingplätze sind dabei. Alles wunderbar in die Landschaft integriert und leider noch alles geschlossen.

Unser Ziel ist schließlich das Museum über den Kalten Krieg. Inmitten dieser idyllischen Landschaft hatten die Sowjets vier abschussbereite Atomraketen stationiert, die auf Ziele in Westeuropa gerichtet waren. Die Raketen wurden 1974 im Rahmen der SALT II - Verträge abgebaut und seit 2012 kann man diese ehemals streng geheime Raketenbasis im Rahmen einer Führung besichtigen. Wir kommen gerade rechtzeitig, um uns die unterirdische Anlage anzuschauen. Sehr beeindruckend aufbereitet wird uns hier wieder einmal der Wahnwitz dieser unsinnigen Machtspiele deutlich gemacht.

Nach der Besichtigung setzen wir unsere Radtour fort und erreichen gegen 14.00 Uhr wieder unseren Mumin. Es gibt noch eine Tasse Tee, dann wird gepackt und wir machen uns auf den etwa 80 Kilometer langen Weg zum nächsten litauischen Nationalheiligtum - dem Berg der Kreuze.

 


Ein litauisches Abenteuer - Fahrt durch eine Baustelle

Auf dem Weg zur Schnellstraße erwischt uns dann doch noch das Abenteuer. Baustelle auf litauisch!!!

Die Straße ist nur halbseitig befahrbar und gleich zu Beginn kommen uns zwei Sattelzüge entgegen. Also zwei Mal wieder zurück setzen und den Trucks im Gegenverkehr die Vorfahrt geben. Ampelschaltung? Fehlanzeige.

Also begeben auch wir uns nun auf Geisterverkehr-Strecke. Zum Glück ist ein Baustellen-LKW vor uns, an den wir uns anhängen können. Der brettert mit einer affenartigen Geschwindigkeit über die Sand- und Lehmpiste. Gemäß dem Motto: Wer bremst, verliert. Neben mir geht es etwa einen Meter tiefer auf die zweite, abgesperrte Spur. Wenn wir da abrutschen auf dem losen Sand, dann Prost Mahlzeit.

Der Baulaster biegt nach links ab in einen Waldweg und nun sind wir allein als Geisterfahrer unterwegs. Ich glaube, ich gebe keinen Tropfen Blut mehr. Irgendwann ist jedoch die Kamikaze-Strecke geschafft und unser Mumin freut sich, endlich mal artgerecht Offroad unterweg gewesen zu sein...

 

Die restliche Strecke bis Siauliai und dem Berg der Kreuze ist jetzt easy going. Wir erreichen das Nationalheiligtum der Litauer am späteren Nachmittag und können auf dem Besucherparkplatz auch übernachten. An Karfreitag hier zu sein ist schon gutes Timing, aber die Besuchermassen halten sich absolut in Grenzen.

 

Wann genau hier das erste Kreuz aufgestellt wurde, ist nicht so ganz verbrieft. Gesichert ist nur, dass der Ort schon in vorchristlicher Zeit ein heiliger Ort war. Zu seiner heutigen Bedeutung kam er, als sich die litauische Bevölkerung im 19. Jahrhundert gegen die russischen Besatzer auflehnte und Kreuze zum Gedenken an ihre Toten und Gefallenen aufstellte. Mehrmals versuchten die Sowjets, den Berg "platt" zu machen und die Kreuze zu zerstören. Ohne Erfolg.

Heute stehen hier unzählige Kreuze in allen erdenklichen Formen und Größen. Auch wir erstehen zwei Kreuze für 2 Euro, die wir an diesem beeindruckenden Ort hinterlassen. Beim Sonnenuntergang wirkt der Ort noch mystischer. Die Kreuze und Rosenkränze klingen sanft im Abendwind und irgendwo läuft sogar ein kleiner Lautsprecher mit gregorianischen Gesängen. It's magic again!!!


Nächster Halt: Vilnius