Wüstentour Teil 1 - die Erg Chegaga

Nachdem wir uns in den zurückliegenden Reisetagen Stück für Stück in Richtung Wüste vorgearbeitet haben, sind wir bei unserem Stopp auf dem Campingplatz in Tata von Stefan aus der Schweiz angesprochen worden. Er war auf der Suche nach einer Reisebegleitung bzw. Erfahrungstipps für eine Wüstendurchquerung von Foum Zguid über den Lac Iriki nach Mhamid. Wie passend – auch wir suchen ja noch nach einem zweiten Fahrzeug, das mit uns auf Wüstentour geht. Zwar könnte uns Stefan mit seinem Pickup nicht wirklich aus einer eventuellen Versenkung im Sand retten, aber immerhin könnte er Hilfe holen. Also verabreden wir mit ihm und seiner Frau Natascha, uns in Foum Zguid zu treffen. Dort steuern wir einen netten Camingplatz unter schattigen Palmen an, wo bereits ein Paar aus Deutschland mit seinem LKW steht. Die beiden berichten uns von ihrer recht abenteuerlichen Tour durch die Wüste, die sie gerade hinter sich gebracht haben. Die beiden haben sich gehörig verfahren und mussten den LKW mehrmals ausgraben. Das bestärkt uns darin, Rachid, den Besitzer des Campingplatzes, zumindest für den ersten Abschnitt der Strecke als Guide zu engagieren. Am Abend sitzen wir noch ein wenig mit Natascha und Stefan zusammen. Erstes „Beschnuppern“ sozusagen und die Bekanntschaft mit den beiden Schweizern passt.

 

Und so packen wir „La grande traversée“ am nächsten Morgen um 9 Uhr an. 160 Kilometer und zwei Tage liegen vor uns. Ausgerüstet mit viel Trinkwasser, einem halbwegs gefüllten Kühlschrank, gut gefüllten Dieselvorräten und motiviert bis in die Haarspitzen starten wir zu unserem ersten großen Offroad-Abenteuer. Wobei „Offroad“ ein relativer Begriff ist. Wenn ich mir so die Navigationskarte anschaue, dann durchzieht ein ganzes „Autobahnnetz“ mit Pisten die vor uns liegende Wüste. Fragt sich nur, welche Piste die richtige ist 😉 Deshalb haben wir uns auch noch die Waypoints von Burckhardt Koch – besser bekannt als „Lila Pistenkuh“ – heruntergeladen. Wie sich später herausstellen soll, eine absolut gute Entscheidung.

 

Rachid, unser Guide, fährt mit seinem Moped vorneweg. Wir im Konvoi hinterher. Erste Überraschung: er biegt nicht in die „offizielle“ Piste ab, sondern führt uns noch ein Stück weit zurück in Richtung Tata. Dann geht es entlang einer eindrucksvollen Bergkette mit markanten Tafelbergen auf ziemlich steiniger Piste zu einer Oase. Wie uns Rachid erklärt, sind wir nun ziemlich nahe der algerischen Grenze. Aber er wäre bei den Militärposten als Guide bekannt und dürfe mit Gästen in dieser Region fahren. Am Rand der Oase die Reste eines Dorfes, das anscheinend extra für eine Filmkulisse aufgebaut wurde. Der Berg direkt vor uns heißt übrigens wegen seiner prägnanten Form „Tajine-Berg“.

 

Weiter geht es nun auf einer teils abenteuerlich steilen und engen Steinpiste zu einem Felsplateau. Spätestens hier hätten wir ohne unseren Guide „gescheut“, aber unser Mumin absolviert diese Engstelle meisterlich. Natürlich nur dank der Fahrkünste meines Conducteurs 😉

Auf dem Plateau gibt es etliche Fossilien, die uns Rachid zeigt. Auf den ersten Blick hätten wir sie nicht entdeckt bzw. als solche wahrgenommen. Kaum zu glauben, dass hier, wo nun Steinwüste ist, einmal das Meer war. Aber das ist ja nun auch schon ein paar Tage her.

Wir orientieren uns nun wieder nach Norden und es geht über teils steinige, teils wellblechartige Pisten, die uns und unser Equipment ordentlich durchschütteln. Unterwegs immer wieder Begegnungen mit Nomaden, Dromedaren, Eseln und hin und wieder auch „Gegenverkehr“. So durchqueren wir die Region des Lac Iriki, einen trocken gefallenen Salzsee. Als der Fluss Dra noch nicht bei Ouarzazate aufgestaut wurde, war diese Senke immer wieder mit Wasser gefüllt und ein Rastplatz für Vögel. Heute gibt es nur noch nach starken Regenfällen im Norden Wasser, das sich jedoch nicht lange hält. Tiefe Spuren in der Lehmkruste zeigen allerdings, dass hier durchaus Gefahren lauern und eine Passage durch den See zu einer Schlammfalle werden kann. Wir durchqueren die ewig erscheinende, ebene und vegetationslose Fläche ohne Probleme.

 

Irgendwann tauchen wieder Bäume auf und es wird Zeit für eine Mittagspause im Schatten eines Akazienbaumes. Jeder von uns steuert etwas aus seinen Vorräten bei und so wird das Wüstenpicknick ein ganz besonderes Erlebnis. Zumal auch plötzlich ein paar Dromedare um die Ecke schauen und gerne etwas von unserem Mahl abbekommen möchten. Rachid erzählt uns viel über seine Familie und den Alltag in Marokko. Er hat algerische Wurzeln und sein Vater ist wohl – sofern ich das richtig verstanden habe – im Algerienkrieg ums Leben gekommen. Obwohl die Grenze offiziell geschlossen und auch vermint ist, darf er an Feiertagen seine Verwandten in Algerien besuchen. Und es gibt ihn auch, den „kleinen Grenzverkehr“, bei dem Waren getauscht werden.

 

Nach unserem Picknick geht es weiter über eine schattenlose Ebene. Nach etwa 60 Kilometern verlässt uns Rachid. Er muss wieder zurück zum Campingplatz und jetzt beginnt auch die größte Hitze. Wir haben etwas mehr als 40 Grad auf dem Thermometer. Nun sind wir auf uns allein gestellt, aber Rachid ist der Meinung, wir müssten immer nur geradeaus fahren. Als Orientierung sollen wir links die Berge und rechts die Dünen nehmen. Kleiner Scherzkeks, unser Rachid! Immerhin gibt er uns noch ein paar Tipps zum Fahren in den nun bevorstehenden Sandfeldern. Immer Gas geben, nie den Gang wechseln und sowieso nie stehen bleiben. Alles klar? Er wünscht uns noch „bonne route“, schwingt sich auf sein Moped und weg ist er. Also gut – wir lassen erst einmal Luft aus den Reifen und verringern für die Sandstrecke den Reifendruck. Über unser Sprechfunkgerät halten wir Kontakt zu Natascha und Stefan, ich übernehme die Rolle der Navigatorin. Die Koordinaten sind auf der Offroadkarte verzeichnet und nun hangeln wir uns voran von Waypoint zu Waypoint. Es ist wie das alte Spiel „Schiffe versenken“. Sind wir in der Nähe eines Waypoints, schwenken wir nach links oder rechts, sofern möglich und schwupp, ist der Punkt versenkt oder zumindest gestreift. Die Navigation klappt schon mal ganz gut. Und auch durch die Sandfelder der Erg Chegaga kämpfen wir uns wacker. Das Auf und Ab über die kleinen Dünen macht sogar richtig Spaß. Jedenfalls mehr, als das Geholpere über die Steinpisten. Und wir sind auch nicht alleine hier. Immer wieder begegnen uns Jeeps von Tourenveranstaltern, die mit Touristen zu den Wüstencamps fahren. Zwar sind es noch nicht sehr viele – die Saison hat noch nicht begonnen – aber es ist tröstlich nicht ganz allein unterwegs zu sein. „Desert for Beginners“ sozusagen. So erreichen wir schließlich die ganz hohen Dünen der Erg Chegaga. In der Nähe eines Wüstencamps finden wir am Fuße der Dünen einen wunderbaren Übernachtungsplatz. Schluss für heute, die ersten 100 Kilometer sind geschafft. Wir richten uns häuslich ein und unternehmen noch eine Dünenbesteigung, um den Sonnenuntergang über der Wüste zu genießen. Leider ist der Himmel etwas bedeckt, so dass es nicht ganz so spektakulär wird. Aber es ist schon ein ziemlich erhebendes Gefühl, hier oben auf dem Gipfel der ganz großen Sandkiste zu sitzen. Dann gibt es unten an den Fahrzeugen noch ein weiteres Wüsten-Picknick. Zum Kochen sind wir heute zu faul. Dafür genießen wir noch einen herrlichen Blick auf den Sternenhimmel mit der Milchstraße und unzähligen fernen Galaxien. Wir sind dem Mysterium Marokko an diesem Abend ein großes Stück nähergekommen und unser Daumen-Barometer steht heute eindeutig ganz oben.

 

Ein perfekter zweiter Tag in der Wüste beginnt mit einem wunderbaren Sonnenaufgang und einem Frühstück draußen. Dabei können wir vorbeiziehende Karawanen beobachten. Wüstenfeeling pur und fast schon zu kitschig um wahr zu sein. Plötzlich ein lautes Dröhnen von Motoren. Da kommen doch tatsächlich zwei alte VW-Busse vorbeigedüst. Ok – sie haben ein modernes Begleitfahrzeug dabei. Aber wenn die es bis hierher geschafft haben, sind die restlichen 60 Kilometer easy going – denken wir. Aber geschenkt bekommt man in der Wüste nix. Erst geht es über eine platte Ebene mit vielen Pistenspuren. Dann – wie eine Fata Morgana – sattes Grün mit grasenden Eseln und Dromedaren. Da wächst doch tatsächlich mitten im Nirgendwo Rucola!!! Und das in einer Größe, von der wir zuhause nur träumen können. Doch wir lassen den Wüstenbewohnern die Salatbeilage und fahren nur staunend durch das Grünland.

Dann kommt eine ziemlich ungemütliche Etappe mit grobem Kies und Steinen. Hier hangeln wir uns von Spur zu Spur, oft ist die Piste nicht zu erkennen. Wieder einmal orientieren wir uns an den Koordinaten, die wir diesmal eher streifen als versenken. Kommando an den Fahrer: such dir die beste Spur aus. Dann kommt wieder Sand. Und das macht deutlich mehr Spaß. Auf und Ab wie auf der Achterbahn und unser Mumin ist nun endgültig der artgerechten Haltung zugeführt. Er schlängelt sich durch als hätte er noch nie etwas anderes gemacht. Eine Schaufel brauchen wir nicht, aber unser Equipment wird ordentlich durchgeschüttelt. Unterwegs stoßen wir auf eine Nomadenfamilie, die mit einer Herde Dromedare an einem Brunnen rastet. Die beiden Frauen sitzen auf dem Boden und nähen aus Woll- und Fellresten Dromedare. Ich denke, die 50 DH für ein weiteres Maskottchen sind angebracht. Ein etwa 2jähriges Mädchen sitzt dabei und fädelt kleine Perlen und Pailetten auf, die später als Dekoration an den Dromedaren angebracht werden. Wir „opfern“ eines unserer Malbücher, eine Packung Buntstifte und eine Handvoll Glasmurmeln. Letztere stoßen bei dem Mädchen auf große Begeisterung und auch das Malbuch mit den Jeeps findet sie toll. Immerhin kennt sie die Fahrzeuge, die hier abgebildet sind. Wir denken, das ist wieder einmal eine sinnvolle Investition und fahren weiter durch ein Sandfeld entlang der Dünen. Die sind jetzt aber nicht mehr so hoch und die Zivilisation rückt näher was wir an den zunehmenden Tourenfahrzeugen und Karawanen merken.

Dann sind wir fast in Mhamid angekommen und genehmigen uns zum Abschluss unserer erfolgreichen Wüstenexpedition noch ein kühles Getränk bzw. Tee in einem Restaurant am Ende der Piste. Hier scheint die ganze Familie versammelt zu sein und da es zunehmend windig wird, werden wir mehr oder weniger ins „Wohnzimmer“ gebeten.

 

Der Wirt setzt sich zu uns und erzählt uns noch so einiges aus dem Leben am Rand der Wüste. Die Versandung würde drastisch zunehmen, seitdem der Fluss Dra in Ouarzazate aufgestaut wurde. Früher hätte es hier immer Wasser gegeben. Auch für die Nomaden werde das Leben dadurch zunehmend schwierig und sie werden gezwungen, irgendwo sesshaft zu werden. Arbeit gibt es deshalb noch lange nicht für sie. Nach diesen interessanten Einblicken fahren wir noch die restlichen drei Kilometer bis nach Mhamid. Der Wirt begleitet uns auf seinem Moped bis zu einer Werkstatt, denn der Pickup von Stefan und Natascha hat die Wüstentour nicht ganz unbeschadet überstanden. Aber der defekte Befestigungshaken ist ruckzuck geschweißt und wir fahren auf den nahen Campingplatz. Hier werden wir sehr nett empfangen, bekommen einen Willkommenstee und Hassan, der Chef, macht einen ziemlich tiefenentspannten Eindruck. Der Laden hier scheint von allein zu laufen. Die Anlage ist recht schön mit Pool, Restaurant, Hotel und einem schönen Garten. Hier stehen wir also nicht schlecht.

 

Wir versuchen, unsere Autos noch ein wenig vom Sand zu befreien und prüfen, ob alles unbeschadet überstanden hat. Außer drei Eiern und zwei Avocados, die den Wüstentod gestorben sind, scheint jedoch alles heil geblieben zu sein. Nach einer heißen Dusche und einer wohlverdienten Siesta gibt es für uns alle noch ein leckeres Couscous im wunderschönen Restaurant mit dem Ambiente aus 1001 Nacht. Das haben wir uns heute auch wirklich verdient!

 

Für den nächsten Tag beschließen wir einen Ruhetag. Auch Natascha und Stefan bleiben noch hier und so verbringen wir einen faulen Tag. Wie sich gegen Mittag herausstellt eine sehr kluge Entscheidung. Der Wind nimmt nämlich kräftig zu und wächst sich zu einem ordentlichen Sandsturm aus. Die Luft ist gelb eingetrübt, die Sicht gleich Null. Der pulverfeine Sand sitzt wahrlich in jeder Ecke. Fenster im Mumin aufmachen ist eine ganz schlechte Idee. Drinnen sind es nunmehr 35 Grad, draußen sitzen geht auch nicht, also verziehen wir uns halbwegs windgeschützt in den Poolbereich des Hotels. Auch das Wasser hier ist eher trüb als klar. Welch ein Glück, dass uns dieser Sturm nicht gestern in der Wüste erwischt hat. Das wäre wirklich kein Spaß gewesen. Und so versuchen wir den Mund zu halten, damit es nicht zwischen den Zähnen knirscht. Spätestens jetzt wird uns die Bedeutung des klassischen Wüstenturbans klar. Den kann man sich bei Bedarf um Kopf und Gesicht wickeln.

Wir genießen nochmals ein feines Abendessen im Restaurant, werden noch zu Tee und Shisha eingeladen (wobei wir letzteres dankend ablehnen) und verbringen eine fast windstille Nacht.

Am nächsten Morgen wird es Zeit, uns von Natascha und Stefan zu verabschieden. Die beiden waren wirklich eine sympathische Begleitung und die letzten Tage mit ihnen haben viel Spaß gemacht. Vielen Dank an euch, dass wir dieses Abenteuer gemeinsam erleben durften.

Während sich die beiden allmählich wieder in Richtung Heimat begeben, geht es für uns auf zur nächsten Wüste. Die Erg Chebbi wartet darauf, von uns erobert zu werden.


Von Wüsten und Oasen - in der Erg Chebbi und in grünen Oasentälern

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Kommentare: 2
  • #2

    Petra (von nurmut.ch) (Mittwoch, 06 November 2019 19:59)

    Hallo Ihr Lieben,
    habe soeben wieder mal auf Eurem Blog gestöbert und Eure aktuelle Marokkoreise gefunden, die mich schwelgen lässt!! Toll, dass Ihr das Land so intensiv erkundet. Eine gewisse Sehnsucht macht sich breit, wenn ich über Eure Wüstentouren, Tafraoute und den Antiatlas lese und die Fotos sehe...mal sehen, wann wir es wieder schaffen werden. Lustig, dass Ihr Rosemarie und Fritz getroffen habt, denn die haben wir letztes Mal in der Erg Chebbi getroffen ;-) bzw. erst noch Juli auf der Adventure Southside am Bodensee. Die Welt ist wirklich ein Dorf! Und irgendwann »kennt man sich«. Euch wünschen wir noch eine tolle weitere Reise und viele, viele folgende. Liebe Grüsse aus dem Appenzellerland und stets nurMut! von Petra & dem Reiserudel

  • #1

    goldfish (Montag, 28 Oktober 2019 16:38)

    "reise" immer noch mit. Freu mich schon auf die nächste Etappe

    fühlt Euch umärmelt
    Gruss
    goldfish