Der Fulufjället Nationalpark liegt genau auf der Grenze zu Norwegen. Damit liegt es nahe, auch einen Abstecher ins Nachbarland zu unternehmen. Nach unserem Besuch im Nationalpark geht es durch einsame Wälder, vereinzelte Siedlungen und Tundra Flächen mit dunklen Seen. Der Grenzübergang nach Norwegen verläuft fast unmerklich und selbst das Handynetz weiß zunächst nicht, wo es sich einloggen soll. Einen ebenfalls einsamen Übernachtungsplatz finden wir direkt an einem wild dahinrauschenden Fluss und begegnen keiner Menschenseele.
Die Vegetation hier ist noch sehr weit zurück und fast meint man, der letzte Schnee wäre gerade erst geschmolzen. Die Traktoren auf den Höfen haben noch Schneeketten aufgezogen und die Schneescooter stehen noch in Reichweite.
Bei sonnigem Wetter unternehmen wir einen kurzen Abstecher zum Bråtafallet Wasserfall. Auf den ersten Blick wirkt er eher unscheinbar, doch als wir ein Stück weiter bergauf gehen, erschließt sich erst die wahre Größe. Es ist nicht die Fallhöhe, die beeindruckt, sondern die Stufen, über die sich der Strom in mehreren Kaskaden hinunter ergießt. Auch hier stoßen wir auf Schneereste sowie einen kleinen See, der zur Hälfte noch von Eis bedeckt ist.
Dann kommen wir noch in den Genuss einer wunderbaren Schotterpiste. Fast 20 Kilometer fahren wir von Østby in Richtung Plassen. Es
geht vorbei an Höfen sowie Wald, Wald und nochmal Wald. Elche treffen wir auch hier leider keine.
Schließlich ist die Straße 26 erreicht, auf der wir wieder nach Schweden einreisen. Ein erstes Norwegen-Fazit nach der kurzen Stippvisite: auf der gefahrenen Route wirkt das Land irgendwie
»unaufgeräumter«. An etlichen Häusern und Bauernhöfen liegt Autoschrott und landwirtschaftliches Gerät in Messie-Manier auf den Flächen verteilt herum und rottet scheinbar vor sich hin. Zwar ist
dies nur eine erste Momentaufnahme, aber Schweden war in dieser Hinsicht etwas gefälliger.
An der Grenze – der Übergang verläuft auch hier unmerklich – gibt es ein riesiges Shoppingcenter, das vor allem von Norwegern frequentiert wird. Wir sind nun am Fluss Kläralven angekommen, der zum riesigen Höljessön Reservoar aufgestaut wurde. Dachten wir eigentlich, dass Wassermangel hier im Norden keine Thema wäre, so werden wir hier eines Besseren belehrt. Der Stausee weist einen erschreckenden Niedrigstand auf. Und das nach der Schneeschmelze.
Wieder einmal finden wir einen traumhaften Übernachtungsplatz direkt am Fluss bei einem Grillplatz. Wir sind allein auf weiter Flur und warten in der Walpurgisnacht leider vergeblich auf Hexen, Trolle und Elche.
Nach der Einsamkeit in den schwedisch-norwegischen Wäldern ist uns langsam wieder nach Menschen zumute. Das Städtchen Torsby ist unser Ziel. Es liegt am langgezogenen Fryken-See. Wir erkunden zunächst das etwas verschlafen wirkende Städtchen mit einer Art Freilichtmuseum. Dort hat allerdings noch alles geschlossen, doch die Gebäude kann man von außen besichtigen. Bei frühlingshaften Temperaturen werden jedoch die amerikanischen Straßenkreuzer aus der Garage geholt und ihre Besitzer liefern sich ein regelrechtes Schaulaufen im Städtle. Immer einmal um den Block und wieder retour. Ganz langsam cruisen sie dahin, denn jeder Zentimeter mehr auf dem Gaspedal erfordert einen Extrakanister Benzin 😉
Wir sind nun unterwegs in der Region Värmland. Der Heimat der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöff. Nicht weit vom Städtchen Sunne liegt der kleine Weiler Mårbacka, in dem sie geboren wurde. Das stattliche Herrenhaus beherbergt heute ein Museum sowie in nettes Café. Mårbacka taucht in verschiedenen Werken Selma Lagerlöffs immer wieder unter einem anderen Namen auf. So auch in ihrem wohl bekanntesten Buch »Nils Holgersson«.
Als nächstes steuern wir die Arvika, die Stadt des Kunsthandwerks an. Laut unserem Reiseführer hatte ich mir eher ein kleines Kunsthandwerkerdorf vorgestellt, doch Arvika ist tatsächlich eine »richtige« Stadt mit allem Drum und Dran. Es gibt einen Stellplatz am See, der bereits gut von norwegischen Campern bevölkert ist. Wir ergattern tatsächlich ein Plätzchen in der ersten Reihe und wir kommen auch schnell ins Gespräch mit einem norwegischen Nachbarn. Er warnt uns bereits vor nächtlichen Posern und Jugendlichen, die mit ihren lauten »Traktor-Autos« um den Block cruisen. Die Traktor-Autos sind eine Besonderheit in Schweden. Die Fahrzeuge meist älteren Modells sind auf 30 km/h gedrosselt und dürfen mit einer Moped-Zulassung von den Jugendlichen gefahren werden. Oft sind diese Autos aber ein wenig getunt und produzieren entsprechenden Lärm, der noch getoppt wird von wummernden Lautsprecherboxen. Nun denn – wir wollten ja unter Menschen sein…
Zunächst aber erkunden wir Arvika, trinken Kaffee, finden mal wieder einen Wolleladen und auch einen Teeladen. Aber so richtiges Kunsthandwerk finden wir nicht. Dann fallen uns in Arvika noch Menschen – überwiegend sind es Männer – auf, die palettenweise Bierdosen durch die Straßen schleppen. Des Rätsels Lösung ist ein Systembolaget. Hier, und nur hier, wird in Schweden Alkohol verkauft. Öl, also Bier, gibt es heute wohl im Sonderangebot. Wir schauen auch mal rein und sondieren die Auswahl. In den Regalen steht meist Hochprozentiges, es gibt aber auch eine interessante Auswahl an Weinen, wie etwa aus Moldawien, Ungarn und natürlich Frankreich und Spanien. Fast kommen wir uns hier vor wie Junkies, die sich ihre Notfall-Ration abholen. Die Preise sind allerdings doppelt bis dreifach so hoch wie zuhause. Da pflegt der Schwabe lieber Abstinenz 😉
Auch in Arvika tummeln sich die US-Klassiker, die chromblitzend durch die Straßen cruisen. Und das im Land von Greta Thunberg. Schön anzuschauen sind die Schlitten in allen Bonbonfarben allemal. Die Dichte scheint in Arvika besonders hoch zu sein, wie uns ein junger Mann erklärt. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte sowohl in Schweden als auch in Norwegen ein Mangel an Fahrzeugen, weshalb man viele Autos aus den USA importierte. Später in den 1950ern wollte man dann die eigene Kfz-Industrie ankurbeln und verhängte Zölle auf die US-Waren. Kommt uns doch alles irgendwie bekannt vor… So aber erklären sich die vielen US-Oldtimer auf Schwedens Straßen und Ivanssons Autofriedhof, den wir als nächstes ansteuern.
Ein Autofriedhof im Niemandsland, eine Grenzüberquerung auf Schleichwegen und ein Wasserfall mit Knick in der Optik. So etwa lässt sich unser zweiter Ausflug nach Norwegen beschreiben.
Zunächst aber geht es weiter durch Schwedens Värmland, wir besuchen die ehemalige Künstlerkolonie Rackstad und shoppen in Klässbol edles Leinen. In der einzigen und letzten Damastweberei wird unter anderem die Tischwäsche für das Festbankett zur Nobelpreisverleihung in Stockholm hergestellt.
Dann geht es auf einsamen kleinen Sträßchen weiter zu Ivanssons Autoschrott. Die letzten 20 Kilometer führen uns auf guter, aber kurvenreicher und hügeliger Straße ins gefühlte Middle-of-Nowhere. Das Sträßchen geht über in Schotter und dann stehen wir fast urplötzlich staunend vor einem ganz besonderen Lost Place. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde der Platz von zwei Brüdern betrieben, die in Spitzenzeiten etwa 2.000 Fahrzeuge zum Ausschlachten sammelten. Im Wald verteilt lagern immer noch gut 800 Autowracks aller Marken und Modelle. Vorwiegend sind es natürlich die US-Cars, aber auch VW-Käfer, Mercedes und andere Schätzchen können wir entdecken. Die Natur holt sich den Ort Stück für Stück zurück, Bäume wachsen durch Autodächer, Blech und Innenräume sind von Moos und Flechten überzogen. Ein skurriler Ort und wir vergessen Raum und Zeit. Fast zwei Stunden sind wir auf Entdeckertour, Fotomotive gibt es en masse.
Eigentlich dachten wir, dass wir hier in einer Sackgasse wären, doch ein Blick auf Google Maps zeigt, dass die Schotterpiste weitergeht und über die Grenze nach Norwegen führt. Vorsichtshalber fragen wir bei einem Besucher nach und so gelangen wir auf sprichwörtlichen Schleichwegen hinüber ins Nachbarland. Tatsächlich ist es ein offizieller Grenzübergang, markiert von einem Steinhaufen und einem Schild mit dem Vermerk »kameraüberwacht«. Immerhin und es heißt jetzt zum zweiten Mal »Hej fra Norge«.
Nach fast 30 Kilometern erreichen wir wieder festen Boden in Form einer Asphaltstraße, die jedoch holpriger und schlechter ist als unser Waldweg. Jetzt geht es auf Stellplatzsuche und ich habe mir ein schönes Plätzchen am See ausgesucht. Dafür geht es nochmal offroad, doch jetzt keine Schotterstraße, sondern fünf Kilometer Feldweg, der immer schmaler wird. Mumin samt Fahrer haben zu kämpfen, dann verfehlen wir auch noch den richtigen Abzweig und landen in einer Sackgasse bei einem Holzfällerplatz. Immerhin können wir wenden und wollen fast schon aufgeben. Aber wo wir uns doch schon mal bis hier durchgekämpft haben, muss es muss es die restlichen anderhalb Kilometer irgendwie weitergehen.
Es geht tatsächlich und bei unserer Ankunft entgleisen uns fast die Gesichtszüge. Wir sind an einem privaten Caravan-Stellplatz mit riesigen Wohnwagengespannen, Freisitzterrassen, Bootsanleger und Sanitärgebäude. Hier stehen Trailer mit Booten, der See ist wunderschön, aber wie sind die alle hierhergekommen? Per Luftfracht? Auf dem Seeweg? Oder gibt es eine Route B?. Egal, wir dürfen hier kostenlos stehen und beenden den Tag mit einem Grillabend.
Nach einem Faulenzertag am Husborn-See finden wir tatsächlich die alternative Route, die auf kürzestem Weg über Schotter zurück zur Hauptstraße führt. Dort folgen wir einer sehr reizvollen Strecke gen Süden. Ein See reiht sich an den anderen. Verbunden sind sie durch einen Kanal und verschiedene Schleusen. Im Sommer verkehren hier Ausflugsschiffe ähnlich dem schwedischen Götakanal.
So erreichen wir die Stadt Halden unweit der schwedischen Grenze und der Schärenlandschaft in der westlichen Ostsee. Beim Entsorgungsstopp treffen wir ein norwegisches Paar, das mit einem umgebauten Schulbus von ihrer Überwinterung aus Spanien zurückkommt. Es ergibt sich ein nettes Gespräch und unser Albanien-Buch wechselt den Besitzer 😉
Danach geht es hinauf zur Festung Frederickstad. Eine der größten und angeblich schönsten Festungsanlagen Europas, sofern man das von einer militärischen Befestigung überhaupt sagen kann. Tatsächlich ist der Rundgang mit großartigen Ausblicken auf Halden und die Wasserwege sehr beeindruckend. Heute wird die Anlage, die einst die Grenze zwischen dem damaligen Dänemark und Schweden sicherte, zivil genutzt. Es gibt eine Schule, ein Hotel, einen Golfplatz, eine Open-Air-Bühne und Museen. Wir können frei durch das Gelände spazieren und treffen ein Paar aus Esslingen auf dem Weg nach Nordnorwegen. Die Welt ist manchmal ein Dorf.
Von Halden geht es entlang weiterer Seen zum Elgåfossen Wasserfall. Auch er liegt im Grenzbereich zwischen Norwegen und Schweden. Der Besucherparkplatz scheint ein beliebter Camperspot zu sein und wir treffen dort auch Andreas und Yvonne aus Heilbronn wieder. Nun bereits zum dritten Mal 😉
Nach der Mittagspause schnüren wir die Wanderstiefel und unternehmen eine schöne Rundwanderung um den Wasserfall herum, der einen seltsamen Knick aufweist. So richtig können wir uns das Phänomen nicht erklären, doch es scheint unterschiedliche Auswaschungen im Gestein zu geben, so dass ein Teil des Wassers »umgelenkt« wird. Hier am Elgåfossen Wasserfall enden auch unsere Norwegen-Abstecher und wir starten zur letzten Etappe entlang Schwedens Schärenküste. Davon erzählen wir dann beim nächsten Mal.