Inzwischen neigt sich unsere Frühjahrsreise schon fast wieder ihrem Ende zu. Wir sind auf der Südseite der Pyrenäen angekommen und damit fast am Ausgangspunkt unseres Katalonien-Roadtrips. Hier genehmigen wir uns auf einem noblen Campingplatz ein paar Tage Auszeit, bevor es in Etappen wieder gen Heimat geht. Unsere Ankunft gestern war fast schon ein wenig spektakulär.
Spanische Campingplätze sind in aller Regel nicht für Mumins dimensioniert. Die Stellplätze sind nicht gerade üppig bemessen und meist sind die Zufahrten durch hübsche Mäuerchen und engstehende, niedrige Bäume erschwert. Insofern schauen wir uns auch diesen Platz erst zu Fuß an und sind angenehm überrascht, dass es hier doch ein ordentliches Platzangebot gibt. Die Dame an der Rezeption nickt uns ab und wir finden auch einen Stellplatz, der es fast mit zwei Mumins aufnehmen würde. ABER: auch hier stehen Bäume. Von den Landschaftsplanern in großer Zahl mit wenig Abstand gepflanzt. Schauen wir mal, wie wir diese mit dem Mumin umfahren.
Wir steuern also den auserkorenen Platz an und schwupp, stehen auch schon zwei Mitarbeiter des Campingplatzes mit ihren Golf-Wägelchen bereit. Einer ist bereits bewaffnet mit einer großen Astschere. Wie bitte? Er wird doch den Baum nicht extra für uns zurechtstutzen… Doch genau das tut er. Hier ein Ast weg, dort einer weg, die dünnen Äste dürfen wir streifen und mit vereinten Kräften gelingt es uns, den Mumin für die nächsten Tage zu platzieren. Was sagt man dazu!?
Nun stehen wir hier also mit schönem Blick auf die Berge, vor unserer Tür liegt ein See, der tatsächlich auch Wasser führt, die Sonne scheint und über uns gleitet ein Heißluftballon hinweg. Zeit, ein wenig durchzuatmen und eine erste Bilanz unserer Katalonien-Reise zu ziehen.
So kamen wir durch etliche Dörfer und kleine Städtchen. Einige davon zählen sogar zu den schönsten Kataloniens. Zumindest in den Hochglanzbroschüren der Tourismuswerbung. Ich bin da etwas vorsichtig mit meiner Bewertung und höre immer auch ein wenig auf mein Bauchgefühl. Tatsächlich waren einige davon überraschend -sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht.
Zu den weniger geliebten Orten zählt dabei das erst dieser Tage besuchte Städtchen Balaguer am Fluss Segre. Nach der Großstadt Lleida war es der erste Ort mit einem Stellplatzangebot. Tatsächlich ordentlich gemacht am Stadtrand mit einer auf den ersten Blick hübschen, mittelalterlichen Stadtkulisse.
Wie inzwischen für uns in Spanien üblich geworden, machen wir uns nach der mittäglichen Siesta am späteren Nachmittag auf Besichtigungstour. Die bunte Häuserfassade in Richtung Segre, die uns anfangs so gut gefallen hat, zeigt in der zweite Reihe ein verfallenes und schmutziges Gesicht. In den baufälligen Gebäuden leben Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Bei uns würde man es einen sozialen Brennpunkt nennen. In den engen Gassen stinkt es nach Katzenklo, überall liegt Taubenkot und man muss aufpassen, nicht in einen Hundehaufen zu treten. Wir steigen hinauf in Richtung Stadtmauer, die man auf einem Stück noch begehen kann. Hier erhoffen wir uns einen charmanteren Ausblick, doch oben angekommen, sind sowohl die Tore der Kirche als auch die der Stadtmauer verschlossen. Immerhin überblicken wir die Altstadt, die einer orientalischen Medina gleicht, sowie auf der gegenüberliegenden Flussseite die Neustadt. Sie gewinnt mit ihren nüchternen Betonbauten auch nicht wirklich einen Schönheitspreis.
Wir machen uns also auf den Rückweg, in den engen Gassen ist es nun dämmrig und irgendwie ist mir nicht wohl zumute. Was sonst stimmungsvoll ist, wirkt hier irgendwie dunkel und bedrohlich. Eine Bar für das Feierabendbier ist von Menschen bevölkert, die wohl bereits schon seit dem Frühstück hier sitzen. Dass am Stellplatz zwei Jugendliche von einer Zivilstreife der Polizei aufgegriffen werden, macht die Sache auch nicht besser. Immerhin stehen wir hier zusammen mit weiteren Wohnmobilen, doch der Wohlfühlfaktor hält sich deutlich in Grenzen.
Jeder verdient eine zweite Chance – auch Balaguer. Am nächsten Morgen scheint die Sonne, die Stimmung ist freundlich und wir machen uns nochmals auf den Weg in die Stadt. Auf der Suche nach dem angeblich größten, arkadengesäumten Marktplatz Kataloniens. Und ja, er ist schön. Ja, er gibt noch einmal den Blick frei auf die Stadtmauer und ja, es gibt auch kleine Gasse mit vormittags geöffneten Geschäften. Auf dem Kirchturm entdecken wir sogar ein Storchennest. Aber dreckig ist es immer noch – ein eher ungewohntes Bild in Katalonien, das fast überall sauberer ist als Deutschland. Über der Szenerie kreisen dann tatsächlich mehrere Geier. Ob das ein Omen ist? Kurzum: Der berühmte Funke ist hier nicht übergesprungen.
Ganz anders in Montblanc. Auch dies ein mittelalterliches Städtchen, das bis heute von einer mächtigen und gut erhaltenen Stadtmauer umgeben ist. Mehr als 20 Türme sind noch vorhanden, was man vom höchsten Punkt der Stadt, der Ruine eines Castillos, noch gut erkennen kann. Diese Stadt hatten wir gar nicht so richtig auf dem Radar und umso überraschter waren wir. Ein wenig hat uns die Kulisse an das französische Carcassonne erinnert. Doch im Gegensatz zur touristisch herausgeputzten großen Schwester herrscht in Montblanc noch echtes und authentisches Leben. Die Menschen wohnen und arbeiten in der Altstadt, Souvenirläden findet man keine.
Kleiner Fakt am Rande: Hier soll die Sant-Jordí-Legende geboren worden sein. Also die vom Drachentöter und dem tapferen Ritter Georg. Jedes Jahr am Sant-Jordí-Tag (23. April) wird die Legend mit viel Feuer und Rauch in einem gigantischen Mittelalterspektakel nachgespielt.
Beklemmende Gefühle hat der Ort Corbrera d’Ebre hinterlassen. Am Fluss Ebro tobte eine der erbittertsten Schlachten während des Spanischen Bürgerkrieges. Ein wochenlanger Stellungskrieg, bei dem schließlich das kleine Dorf 1938 von der deutschen Legion Condor in Grund und Boden bombardiert wurde.
Der Ort wurde danach nie wieder aufgebaut. Stattdessen ist unterhalb des Poble Vell, also des alten Dorfes, eine neue Siedlung
entstanden. Doch viele der Bewohner, sofern sie das Inferno überlebten, haben den Ort verlassen.
Die Ruinen blieben, wie sie waren. Heute ist dies ein stiller Ort des Gedenkens. Eine Vereinigung kümmert sich um das Ruinendorf und versucht, mit Ausstellungen und Führungen eine Art Freilichtmuseum zu schaffen, um die Erinnerung wach zu halten. Bereits jetzt gibt es ein Alphabet des Friedens, das von mehreren Künstlern gestaltet wurde. In der Kirche, die noch erstaunlich vollständig ist, sind die Spuren der Einschüsse noch deutlich zu erkennen. Heute Raum für Kunstausstellungen und Veranstaltungen.
Wir sind die einzigen Besucher an diesem Tag. Der Wind pfeift durch die leeren Fensterhöhlen, auf einem Haustür-Portal steht das Baujahr 1934. Das Gebäude wurde nur vier Jahre alt. Eine surreale und nachdenklich stimmende Atmosphäre.
Mitten in dem Trümmerfeld steht ein mächtiger Olivenbaum. Irgendwie scheint er das Inferno überlebt zu haben. Die Natur ist stärker und erobert sich das zerstörte Land Stück für Stück zurück.
Ebenfalls am Ebro liegt die Stadt Tortosa. Laut unserem Reiseführer kein „Must-see“. Mich machen solche Negativ-Empfehlungen dann doch neugierig und wir wurden nicht enttäuscht. Tortosa ist zwar keine Schönheit im klassischen Sinn, aber wir konnten ihr doch einiges abgewinnen.
Unfertige Kathedralen haben in Katalonien ja fast schon Tradition und so blieb auch das Gotteshaus in Tortosa unvollendet. Mit dem fehlenden Dach sieht es fast schon gekappt aus. Innen aber ein echter Hingucker. Vom Castillo, in dem heute ein Parador-Hotel residiert, überblickt man das Tal des Ebro sowie die angrenzenden Berge in ihrer ganzen Pracht. Es gibt mittelalterliche Gassen mit morbidem Charme, modernistische Bauten und als echtes Highlight eine wunderschöne Markthalle. Dort plündern wir am späten Vormittag die Tapas-Bar und starten gut gestärkt zu einer wunderbaren Fahrradtour.
Aber das ist eine andere Geschichte. In diesem Sinne - Hasta luego!