Dünen, Sand und Dattelpalmen

Es ist bald Mitte Oktober und der Süden Marokkos liegt nun fast hinter uns. In den letzten beiden Wochen haben wir eine weitere große Sandwüste erobert und den Erg Chebbi über Offroad-Pisten aus Richtung Süden angefahren. Bis dahin hatten wir aber noch viele schöne Erlebnisse und Begegnungen.

Beendet hatte ich unseren letzten Beitrag in Ouarzazate auf einem fast vollen Campingplatz. Dort lernen wir Sabine und Trixi aus der Bodensee-Region kennen. Die beiden halten uns sprichwörtlich in Händen und sind mit unserem WOMO-Reiseführer in doppelter Ausführung unterwegs. Die beiden Schwestern erfüllen sich mit Marokko einen Traum und bestätigen uns, dass man auch als Alleinreisende Frauen sehr gut und sicher im Land unterwegs sein kann. Wir verbringen noch einen netten Abend zusammen, tauschen unsere Erlebnisse aus und geben Tipps für die Weiterreise.

Durch das Tal des Drâa mit den ausgedehnten Palmenoasen und schönen Kasbahs geht es für uns südwärts über Zagora nach Mhamid. Zagora ist dann eine ähnlich unangenehme Stadt wie Rissani, das im Ruf aufdringlicher Faux Guides und bettelnder Kinder steht. Kaum haben wir die die Stadtgrenze erreicht, haben wir auch schon den ersten tollkühnen »Follower« an der Backe. Ein junger Mann fährt in Harakiri-Manier auf seinem Moped mal vor, mal neben mal hinter uns, zeigt auf den Aufdruck seines Werkstatt-Overalls und nötigt uns an einer roten Ampel eine Visitenkarte auf. Ölwechsel, Abschmieren, Waschen – dabei läuft unser Mumin doch wie geschmiert. Der junge Mann lässt nicht locker und wir sollen ihm in die Werkstatt folgen. Allmählich wird Frank sauer, denn mit seiner Fahrweise und dem Ausbremsen bringt sich der Kerl selbst in Gefahr. Nicht auszudenken, wenn er vor unsere Räder stürzen würde. An einem Kreisverkehr hängen wir ihn schließlich ab und steuern unseren auserkorenen Campingplatz an. Doch kaum sind wir dort angekommen, steht der Knabe schon wieder neben uns. Jetzt ist es mit der Höflichkeit vorbei und Frank schnauzt den Schlepper an, welchen Teil von NEIN er denn nicht verstanden habe… Das war deutlich und er zieht auf seinem Moped von dannen.

In Mhamid, dem Tor zum Erg Chegaga, fahren wir auf der Piste am Ende der Asphaltstraße noch drei Kilometer weiter zum kleinen Café, in dem wir vor sechs Jahren nach unserer ersten, erfolgreichen Wüstendurchquerung Schutz vor einem herannahenden Sandsturm gefunden hatten. Aus dem kleinen Café ist inzwischen ein hübscher Stellplatz geworden. Zaid hat die Zeit der Corona-Pandemie genutzt, Schattenbäume gepflanzt ein kleines Sanitärgebäude und feste Unterkünfte gebaut. Aus einer geplanten Nacht werden zwei, wir treffen Sabine und Thomas aus Ulm, mit denen wir ein nettes Candlelight-Dinner am Rand der Dünen genießen und fühlen uns beim Blick in den Sternenhimmel absolut tiefenentspannt.

Zurück müssen wir wieder über das Stadtgebiet von Zagora, wo wir diesmal nicht von einem Moped, sondern einem Geländewagen derselben Werkstatt ausgebremst werden. Inzwischen liked und folgt sie uns auch auf Instagram. Diese Art von Followern sind tatsächlich lästig, aber im Amezrou wird das alles noch von einem Dreikäsehoch getoppt, dessen Showeinlage schauspielreif ist. Wir parken den Mumin, um in der Medina die gut ausgeschilderte jüdische Kasbah mit einem Kunsthandwerkerzentrum zu besuchen. Da steht der Knirps, der vielleicht 5-6 Jahre alt ist, vor Frank und bietet ihm an, für 5 Dirham auf den Mumin aufzupassen. Als der verneint, zieht er den nächsten Joker und will uns die Kasbah und die Synagoge zu zeigen. Auch Nein Danke. Da er bei Frank offensichtlich keine Chance hat, versucht er die Mitleidsmasche bei mir. Er verzieht das Gesicht zur Leidensmine, quetscht zwei Kullertränen hervor, beginnt zu humpeln – Aua, aua, aua – und wirft sich in Toter-Mann-Manier vor den Mumin. Ach, hätte ich das doch alles gefilmt… Die Show ist comedyreif. Als es auch keine Stylos, und Bonbons gibt, steht der Wicht plötzlich genesen wieder auf und radelt mit seinem Fahrrad von dannen.

Dann wird es Zeit für unser Offroad-Abenteuer. Dazu biegen wir von der Nationalstraße kurz hinter Alnif ab auf eine schmale Asphaltstraße, die uns auf den nächsten 70 Kilometern durch eine eindrucksvolle Landschaft aus Oasendörfern und später ausgedehnter Steinwüste nach Tafraoute Sidi Ali führt. Dort endet die Welt, die algerische Grenze ist nah und es gibt mehrere Militärpatrouillen. In der Auberge Kem Kem finden wir einen Stellplatz für die Nacht, treffen dort eine französische Motorradgruppe, sind zum Apéro eingeladen und lernen mit Mohamed einen kompetenten Kenner der Piste nach Merzouga kennen. Er berät uns zunächst, wie wir am besten durch die gefürchteten Weichsandfelder mit dem Fech-Fech kommen. Zwar haben wir den Track der beiden Offroad-Experten Sabine und Burkhard Koch alias Pistenkuh, doch Sandverwehungen und die Überschwemmungen im vergangenen Jahr sorgen dafür, dass sich der Pistenverlauf immer wieder ändert.

Unsere Motivation, den Mumin aus einem Dünengrab auszubuddeln, hält sich in Grenzen. Und wir sind immer noch allein unterwegs, kein Overlander weit und breit, mit dem wir uns zusammentun könnten. Deshalb sind wir sehr dankbar dafür, als uns Mohamed am nächsten Morgen seine Begleitung bis nach Ramlia anbietet. Das ist etwa die halbe Strecke und führt mit »Berber-GPS« durch das gefürchtete Oued Rheris.

 

Keine schlechte Entscheidung, denn Mohamed erklärt uns unterwegs immer wieder die Besonderheiten der Region. Zunächst geht es auf ungemütlicher Wellblech- und Schotterpiste entlang dem Bergmassiv des Djebel Zereg.  Einem Bergzug aus blau-schwarzem Vulkangestein, der glänzend in der Sonne leuchtet. Die Einheimischen nennen ihn deshalb auch »blauer Berg«. Auf der anderen Seite erstrecken sich zunächst rötliche, später gelbe Sandfelder mit Akazienbäumen. Die Farbenvielfalt ist unbeschreiblich.

 

An den Berghängen wird Baryt abgebaut, wie uns Mohamed erklärt. Auch als Bariumsulfat oder Schwerspat bekannt, wird er in der Industrie unter anderem für strahlenundurchlässigen Beton verwendet. Aber auch als Kontrastmittel in der Medizin, oder als Füllstoff in der chemischen Industrie findet das farblose Gestein Anwendung.

Bislang sind wir der Hauptpiste gefolgt, die auch den Waypoints von Pistenkuh entspricht. Doch dann sagt Mohamed, er würde nun sein »Berber-GPS« einschalten. Wir sind am breiten Oued Rheris angelangt, an dem wir uns zunächst in nördliche Richtung halten. Dabei queren wir die Abraumhalden einer ehemaligen Eisenerz-Mine. Nun nimmt Mohamed Kurs nach Osten und mit viel Schwung folgen wir ihm auf schmalen Pistenspuren durch die Weichsandfelder. Er findet tatsächlich die optimale Route, so dass wir nach etwa sechs Kilometern, ohne stecken zu bleiben, wieder halbwegs festen Boden unter den Rädern spüren. Wenig später ist die Oasensiedlung Ramlia erreicht. Sie besteht in erster Linie aus einem Café und ist der Treffpunkt für organisierte Touren mit dem Geländewagen durch die Wüste. Nomadenfrauen bieten an einem Stand bunte Tücher und andere kunsthandwerkliche Souvenirs an. Entsprechend touristisch geht es zu. Wir trinken mit Mohamed noch einen Tee und verabschieden uns hier von ihm. Er war uns tatsächlich eine große Hilfe, ohne die wir sicherlich einen anderen Weg durch das Oued Rheris genommen hätten.

Die restliche Pistenstrecke von etwa 30 Kilometern schaffen wir dann ohne ihn und folgen dabei der Hauptroute nach Osten. Verfahren ist kaum mehr möglich, denn wir sind dort auch nicht allein unterwegs. Tourenjeeps, Motorräder und allerhand motorisierte Offroad-Spielzeuge tummeln sich auf der Strecke. Doch es wird noch einmal landschaftlich spektakulär. Nun sind es die schwarzen Tafelberge, die uns beeindrucken. Vor Jahrmillionen entstanden waren sie Korallenriffs im Meer. Ganz allmählich tauchen dahinter die ersten roten Sanddünen des Erg Chebbi auf.

 

Es gilt noch eine letzte kleine Anhöhe zu überqueren, dann liegt vor uns – wie eine Fata Morgana – das erste Hotelresort. Es mutet an wie ein orientalischer Palast aus 1001 Nacht. Noch sieben Kilometer Piste, dann erreichen wir die neue Asphaltstraße, die inzwischen bis nach Ouzina führt. Vor sechs Jahren war in Taouz Schluss und die Wüste wird mehr und mehr erschlossen.

Auf dem bewährten Campingplatz in Merzouga treffen wir Sabine und Trixi mit ihrem »Glücksmobil« wieder und ein weiteres Paar (Namen leider vergessen…) aus Neckarsulm. Ebenfalls Nutzer unseres Reiseführers und wir sind ziemlich dankbar, dass er trotz seiner teils schon älteren Informationen immer noch gute Dienste leistet.

Inzwischen sind wir durch die Dattelpalmen-Oase des Oued Ziz wieder ein Stück nordwärts an die südlichen Ausläufer des Hohen Atlas gefahren. Bei Hamad und seiner Familie haben wir viel über den Anbau von Datteln erfahren, wie mühevoll die Arbeit ist und was man alles aus den Energielieferanten herstellen kann. In den nächsten Tagen stehen wieder Berg-und-Tal-Fahrten über den Hohen Atlas auf dem Programm. Mitte Oktober sind jetzt deutlich mehr Touristen unterwegs. Insbesondere sind es geführte Reisegruppen, aber auch die ersten Overlander haben wir gesichtet. Heute stehen wir Goulmima, haben eine nette Familie aus Suhl in ihrem ausgebauten Feuerwehrauto kennengelernt und sitzen tatsächlich einen Tag mit Saharastaub und trüber Sicht aus. Nicht die besten Voraussetzungen für Fotowetter in den Bergen 😉

Unser Daumen-Barometer zeigte in den zurückliegenden Wochen mit ganz, ganz kleinen Abweichungen ganz klar nach oben. Insbesondere der Süden Marokkos ist und bleibt eine unserer Lieblingsregionen. Das Berbervolk hier ist herzlich und aufgeschlossen, man fühlt sich auch als Frau nicht als Mensch zweiter Klasse und wir erleben dort eine wieder einmal unbeschreibliche Gastfreundschaft. Bleibt uns gewogen – bis zum nächsten Mal, wenn es über den Hohen Atlas geht.



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